Geschwister Kinder

Ein außergewöhnliches Konzert mit großer Wirkung

Der Verein ist für uns zu einem Ort der Begegnung und Entlastung geworden – für Eltern, Geschwister und Kinder. Hier erfahren wir Verständnis, Kraft und Gemeinschaft.

„Es unglaublich wichtig für uns, dass es Menschen gibt, die uns eine Stimme geben“

Eine Mutter berichtet über das Benefizkonzert des „European Doctors Orchestra“, über ein Leben aus den Fugen und wie Philip Julius e. V. geholfen hat, trotz allem die Schönheit darin zu sehen.

Am 25. Mai diesen Jahres fand in der VILCO-Stadthalle Bad Vilbel auf Initiative des Lions-Club Bad Vilbel Wasserburg und der Rotarier Bad Vilbel ein in vielerlei Hinsicht außergewöhnliches musikalisches Ereignis statt: Das „European Doctors Orchestra“ gab unter der Leitung des international bekannten Dirigenten Yordan Kamdzhalov ein Benefizkonzert mit Stücken von Georges Bizets und Anton Bruckner.  Rund 100 Ärztinnen und Ärzte aus 17 Ländern Europas hatten die anfallenden Kosten für ihre Anreise und den hiesigen Aufenthalt selbst getragen, sodass der Erlös des Konzertes zu 100% an zwei gemeinnützige Organisationen gespendet werden konnte. Wie der „ASB-Wünschewagen“, der schwerkranken Menschen letzte Wünsche erfüllt, ist auch unser „Philip Julius e.V.“ mit einer Summe von 10.000 € begünstigt worden.

Wer an diesem Abend selbst in der Konzerthalle saß und sich über den Hintergrund der Veranstaltung bewusst war, konnte spüren, wie viel Demut in der Luft lag. Und wer selbst von der Pflege eines schwerstbehinderten Kindes betroffen ist und mit der Mission des Philip Julius e.V. vertraut ist, war sicherlich von tiefer Dankbarkeit erfüllt. So ging es zumindest mir…

Im kleinen Kreise Großes bewirken

Am Tag vor dem Konzert hatte ich gemeinsam mit Manuela Selberdinger, der Geschäftsführerin des Philip Julius e.V., die Ehre, dem Orchester den Verein vorzustellen. Wir hielten einen Kurzvortrag, um den Musikern eine Vorstellung davon zu ermöglichen, wie wertvoll ihr Engagement für uns ist und dass dadurch im kleinen Kreise Großes bewirkt werden kann.

Als betroffene Mutter durfte ich einen persönlichen Einblick in den Mehrwert des Vereins für meine Familie geben:

Die Geburt unserer Tochter vor 9 Jahren machte uns zur glücklichsten kleinen Familie der Welt. Schon bald entstand der Wunsch nach einem Geschwisterchen und wir waren aus dem Häuschen als ich mit unserem Sohn schwanger wurde. Ein Mädchen und ein Junge – Wir fühlten uns reich beschenkt. Unser Sohn wurde inmitten der Corona Pandemie geboren. Er war gesund, fröhlich und entwickelte sich rasch. In seinem vierten Lebensmonat wurde unsere Welt jedoch abrupt auf den Kopf gestellt, denn unser Sohn hatte eine seltene Form schwerer epileptischer Anfälle. Plötzlich drehte sich alles nur noch um Krankenwagen, Krankenhäuser, Ärzte, Therapeuten, genetische Institute und Spezialkliniken.

„Unser ganzes Leben, all unsere Vorstellungen und Pläne
zerbrachen von einer Sekunde auf die nächste“

Es war, als hätten wir aufgehört zu leben. Wir funktionierten nur noch wie ein Autopilot, erschwert von den zermürbenden Umständen der Pandemie. Unsere Körper agierten weiter, aber unsere Seelen waren in Schockstarre. Es stellte sich heraus, dass unser Sohn durch eine fehlerhafte Zufallsmutation im Mutterleib eine irreparable Hirnfehlbildung erlitt, welche seine Epilepsie und globale Entwicklungsstörung verursacht.

Jeden einzelnen Tag trauern wir seither um das Familienleben, das wir einst vor Augen hatten; mit einer Tochter und einem Sohn – mit zwei gesunden Kindern.

Stattdessen fühlen wir uns oft allein, isoliert, verzweifelt, hilflos. Niemand bereitet einen darauf vor, wie es ist, ein pflegebedürftiges Kind mit besonderen Bedürfnissen zu haben. Unser ganzes Leben, all unsere Vorstellungen und Pläne für die vollkommene Zukunft zerbrachen von einer Sekunde auf die nächste. Der Boden wurde uns unter den Füßen weggerissen.

Eine Bekannte von uns machte uns damals auf den Philip Julius e.V. aufmerksam; hatten wir doch bislang nie einen Grund gehabt, uns mit dem Thema „Familien mit behinderten Kindern“ auseinander zu setzen, wussten wir nichts über das Wirken des Vereins. Anfangs waren wir zu paralysiert, um uns an Philip Julius zu wenden. Allerdings gerieten wir rasch an die Grenzen unserer Kapazitäten, inmitten der verschiedenen Anträge, Ämter, Rechten und Pflichten, die uns überrollten. Also ersuchten wir Unterstützung beim Philip Julius e.V. und erhielten diese sofort. Um diese Entlastung waren wir froh.

„Irgendwie mussten wir unsere Welt und uns selbst wieder neu sortieren“

Philip Julius bot uns damals auch psychologische Unterstützung, denn irgendwie mussten wir ja unsere Welt und uns selbst wieder (neu) sortieren. Und wir durften in all dem Chaos unsere Tochter nicht vergessen, die ja auch noch da war und die sich sicherlich auch eine andere Vorstellung von ihrem kleinen Bruder gemacht hatte. All ihre Freunde konnten schließlich mit deren Geschwistern interagieren und spielen – sie kann das nicht, zumindest bedingt. Sie fühlt sich als Schwester eines behinderten Bruders mit Sicherheit ebenfalls einsam und „anders“. Aber wie konnte sie das als damals Vierjährige nach Außen kommunizieren? Darum freuen wir uns, dass sie regelmäßig an den Geschwistertreffen des Philip Julius e.V. teilnehmen kann: Ein unbeschwerter Nachmittag mit anderen Kindern, die das Gleiche erleben, wie sie selbst. Unsere Tochter freut sich stets auf die Treffen, weil sie ihr das Gefühl geben, etwas Besonders zu sein: Für sie sind die Geschwistertreffen ein Privileg, denn nur Kinder mit behinderten Geschwistern dürfen teilnehmen, sonst niemand. Hier ist sie mal diejenige, die wegen ihres Bruders dabei sein darf, und nicht, wie allzu oft, wegen ihres Bruders verzichten muss. Hier ist sie nicht allein mit ihrem Schicksal.

Und hier sind auch wir Eltern nicht allein mit unserem Schicksal. Der Philip Julius e.V. ist ein Ort der Begegnung, des Austauschs, der Vernetzung, des Ratschlags und der Unterstützung – und der Auszeit. Man fühlt sich verstanden und man versteht. Es gibt Treffen, Seminare, Freizeitaktivitäten, denn neben unserem betroffenen Kind und unserem gesunden Kind dürfen wir Eltern uns selbst nicht vergessen. Philip Julius bietet uns auf vielen Ebenen Unterstützung, die man nutzen kann, aber nicht muss. Man wählt, was einem zu diesem Zeitpunkt der Reise gerade guttut. Und dann fühlt sich das Leben für einen Moment ein bisschen leichter und weniger einsam an.

„Philip Julius e. V. begleitet uns und zeigt uns, dass wir es schaffen können“

Der Evolutionsforscher Charles Darwin sagte: Es ist nicht der Stärkste, der überlebt, sondern der, der am anpassungsstärksten ist. Wir passen uns an – jeden Tag ein bisschen mehr. Und die Arbeit des Philip Julius e.V. begleitet uns und zeigt uns, dass wir es schaffen können. Wir überleben. Und auch wenn alles anders ist, als wir es uns ausgemalt haben, auch wenn der Schmerz und die Trauer um das gesunde Kind, das wir nicht haben, niemals aufhören wird, zeigt sich doch, dass das Leben auch mit seiner Unvollkommenheit wunderschön ist.

Wir betroffenen Familien mögen nur ein kleiner Teil der Gesellschaft sein, aber diese kleine Gemeinschaft ist größer als man denkt. Darum ist es unglaublich wichtig für uns, dass es Menschen gibt, die uns beachten und uns eine Stimme geben – so wie die Ärztinnen und Ärzte dieses besonderen Orchesters, das vor 5 Monaten zusammenkam, um durch seine Musik die Aufmerksamkeit der Welt für einen kleinen Moment auf uns zu richten.

Mediziner, deren tägliche Ambition es ist, Menschen zu helfen und zu heilen. Wir betroffenen Eltern wissen nur zu gut, was diese Arbeit für das Leben unsere Kinder und Familien bedeutet. Aber mit diesem Benefizkonzert engagierten sich diese knapp 100 Menschen freiwillig über ihre tägliche, lebenswichtige Arbeit hinaus – für uns Familien des Philip Julius e.V.

Es war die Musik, die die Menschen in dieser Konzerthalle zusammengeführt und verbunden hat. Aber da war noch mehr. Etwas, das man weder sehen noch hören konnte. Und das war es, was diese Veranstaltung zu einem außergewöhnlichen Erlebnis gemacht hat. Und das ist es auch, was noch nach fünf Monaten so wohlig nachhallt. Zumindest bei mir…

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