Worum geht es in dieser Folge?
Eltern sein und trotzdem Paar bleiben? Vor allem, wenn ein Kind aufgrund einer schweren Erkrankung oder Behinderung besonders viel Pflege braucht, kann das für die Paarbeziehung immer wieder zur Herausforderung werden. Studien zeigen, dass Eltern schwer erkrankter Kinder deutlich öfter von Konflikten, Überforderung und Rückzug berichten, dass die Trennungsrate höher ist und durch den Dauerstress zudem ein größeres Risiko für Angststörungen und Depressionen besteht. Gleichzeitig kann die besondere Situation auch eine Chance für die ganze Familie sein – für jeden Einzelnen, aber auch für das Miteinander. „Unser Leben, so wie es jetzt ist, ist einfach toll. Sie ist für die ganze Familie eine mega Bereicherung“, sagt Shari Dietz über ihr Leben mit Tochter Mari. Shari hat mit ihrem Mann André vier Kinder, darunter einen Sohn, der mit Analatresie geboren wurde und Mari, die das Angelman-Syndrom hat. Gemeinsam berichtet das Paar im Podcast „Ab jetzt Plan B“ über ihren „wilden“ Familienalltag und verraten, wie sie es geschafft haben, bei allen Belastungen einfach glücklich miteinander zu sein. Wir haben die wichtigsten Aspekte für Euch zusammengefasst.
Expertinnen & Experten in dieser Folge
Kerstin von der Hude
Psychosoziale Elternberatung / Palliativversorgung | Charité Berlin
Kerstin von der Hude begleitet seit über 30 Jahren Eltern, deren Kinder direkt nach der Geburt intensivmedizinisch versorgt werden müssen. Ihr Schwerpunkt liegt auf Palliativbegleitung und Trauerarbeit. Sie kennt die emotionalen Ausnahmezustände rund um Diagnose, Klinikalltag und Abschied – und zeigt, wie Familien Halt finden können. Hier findet ihr das ganze Interview.
Prof. Dr. Michèle Wessa
Psychologische Resilienzforschung | Universität Heidelberg, DKFZ, ZI Mannheim
Prof. Wessa erforscht, wie Menschen schwere Lebensereignisse bewältigen und welche Schutzfaktoren Resilienz stärken. Sie macht deutlich, warum Resilienz ein dynamischer Prozess ist – und welche kleinen Übungen Eltern im Alltag entlasten können.
Markus Seelig
Bereichsleiter Prävention und Gesundheitsförderung
Gesundheitsversorgung
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Die Lasten aufteilen
„Da haben wir gemerkt, was wir für ein gutes Team sind“, erinnert sich André Dietz an die Zeit nach der Geburt ihres ersten Kindes. Drei Monate musste ihr Sohn damals auf der Intensivstation verbringen und Shari und André durften die Erfahrung machen, dass sie für den anderen stark sein können, wenn dieser es gerade braucht. Gemeinsam geht eben doch Vieles leichter. Das betont auch Katrin Eigendorf. Aus ihrer eigenen Erfahrung weiß sie, wie wichtig es ist, auf Ausgewogenheit in den Verantwortungen zu achten: „Ich glaube, was wir klug gemacht haben, wir haben versucht, die Last der Kindererziehung – und es ist ja auch immer eine Last, nicht nur eine Freude – auf beide Schultern zu verteilen. Was ich auch jetzt sehe in der Arbeit unseres Vereins, was zum Scheitern verurteilt ist, ist das Modell: Einer kümmert sich nur um das kranke Kind und der andere geht raus ins Leben. Man wird so sehr isoliert, viel mehr noch isoliert, als wenn man nur ein ganz normales, gesundes Kind betreuen muss. Man ist irgendwann raus aus dem Leben und wir sehen dann, irgendwann funktioniert diese Partnerschaft nicht mehr, weil es in der Erfahrungswelt immer weiter auseinanderdriftet.“
Konflikte offen ansprechen
„Konflikte in solchen Situationen sind ein Stück weit normal. Und es ist ganz wichtig, dass man die offen anspricht und nicht aus Angst vor zusätzlicher Belastung immer aus dem Weg geht, weil wir auch wissen: Vermeidung führt langfristig nicht zu einem positiven Ergebnis, sondern letztlich eher eigentlich zu einer Verschlimmerung“, erklärt Resilienzforscherin Prof. Dr. Michèle Wessa. Shari und André Dietz sehen das ähnlich. „Wir sind einfach wahnsinnig ehrlich miteinander“, sagt André. „Es gibt ja Leute, die behaupten, man braucht auch in einer gut funktionierenden Beziehung Geheimnisse. Da glauben wir nicht dran. Wir sind in allem extrem offen miteinander.“ Es ist den beiden wichtig, Probleme möglichst vor dem Schlafengehen zu lösen. Dabei könne es auch durchaus schon einmal ziemlich laut werden, lacht André. „Wir haben eine sehr, sehr gute Streitkultur, die aber auch oft am Ende durch Humor gebrochen wird und weil Shari dann meistens einsieht, dass sie Recht hat.“ Ehrlichkeit, Humor und eine klare Kommunikation – das erleichtert viel.
Kleine Routinen für eine bewusste Zeit zu zweit
So, wie es auch für die ganze Familie hilfreich ist, gemeinsame Rituale zu haben, ist es auch für die Beziehung als Paar wichtig, sich bewusst Zeiten miteinander zu schaffen. In Familie Dietz gibt es die Gewohnheit, jeden Abend beim gemeinsamen Essen kurz den Tag zu reflektieren. „Dann darf jeder sagen, was an dem Tag denn heute gut und was schlecht war.“ Für sich als Paar haben Shari und André ein Zeitfenster am Morgen, wenn die Kinder gerade zur Schule aufgebrochen sind, gefunden. „Ohne Handys, jeden Morgen eine halbe Stunde, manchmal ist es auch nur eine Viertelstunde, manchmal sind es 20 Minuten, dass wir durch den Wald laufen, um viertel vor acht, da trefft ihr uns jetzt morgens immer im Wald. Und dann unterhalten wir uns“, beschreibt Shari ihr gemeinsames Morgenritual. „Wir reden über das, was war und das, was ist. Also das, das wir mit den Kindern abends machen, machen wir nochmal eben ausführlich und das hilft uns als Paar ungemein“, ergänzt André.
„Das hilft unglaublich, diese kleinen Rituale einzuführen“
Melanie Hubermann
Auch Melanie Hubermann, systemische Familientherapeutin, betont, wie wichtig das ist. „Ich gehe oft in Verhandlungen und schaue immer wieder in die Tagesstrukturen: Wo können wir uns fünf Minuten klauen? Wo können wir eine halbe Stunde kriegen? Wo bleibt vielleicht mal eine Stunde mithilfe von anderen? Ganz, ganz wichtiges Thema. Wer kann uns helfen aus unserem Umfeld, damit wir auch mal eine halbe Stunde zusammen spazieren gehen können? Und dann geht es tatsächlich um ganz kleine Dinge, die man tun kann. Zusammen fünf Minuten einen Kaffee morgens trinken, bevor man sich den Kindern zuwendet. Abends ein Pasta-Abend planen, auf dem Balkon zu zweit mit einem Glas Wein, um miteinander zu sein. Keine Netflix-Serie schauen, sondern wir beide machen uns einen romantischen Abend, eine Stunde, und reden mal nur über schöne Dinge, wie wir uns kennengelernt haben, über unsere Träume, nur Positives, und kehren dann in unseren Alltag zurück. Und das hilft unglaublich, diese kleinen Rituale einzuführen. Darauf würde ich immer wieder bestehen, also ich werbe dafür, es zu ritualisieren, jeden Donnerstagabend italienischer Abend, jeden Sonntag fünf Minuten zusammen den Kaffee trinken, damit es nicht durchrutscht bei diesem Wahnsinnsalltag, die diese Familien stemmen müssen.“
Körperliche Nähe
Nicht zu vergessen bei all dem: Auch körperliche Nähe tut gut und es ist wichtig, im Alltag nicht untergehen zu lassen, dass man ein Paar ist, etwas, auf das Shari und André viel Wert legen. „Es gibt ja diese Idee von den drei Seiten einer Partnerschaft“, fasst Podcast-Moderator Eckart von Hirschhausen zusammen. „So etwas wie Freundschaft und als Team miteinander funktionieren, das habe ich bei euch rausgehört. Dann gibt es die Leidenschaft und dann gibt’s dieses gemeinsame Verständnis, wo wollen wir hin, haben wir Ideen, unser Leben zu gestalten, eine Zukunft, auch eine Aufgabe. Ihr habt nun einen Teil der Aufgabe sozusagen präsentiert bekommen vom Leben. Aber auch wenn es Phasen gibt, in denen diese Gewichtungen unterschiedlich sind, ist es gut, daran zu erinnern, das Leben braucht diese drei Seiten als Paar.“
Selbstfürsorge
Aber auch, wenn man sich als Paar gegenseitig unterstützen und im Miteinander Kraft tanken kann, braucht auch jeder seine Räume für sich, hat Shari Dietz im Laufe der Zeit gemerkt. Als sie mit ihrem Mann das Buch „Alles Liebe: Familienleben mit einem Gendefekt“ (2019) schrieb, hatte sie noch gedacht, dass sie als Paar „sich genug sind“. „Und das sind wir auch“, sagt sie heute. „Unsere Auszeit ist Zeit miteinander. Wir ziehen Energie daraus, dass wir beide zusammen sind und schöne Sachen unternehmen. Aber heute, als Mutter – Thema Mental Load – habe ich für mich gelernt, dass es Tage geben muss, an denen ich nur Shari bin und mit meinen besten Freundinnen irgendwas mache. Und das kann ein Tag irgendwo ein Städtetrip sein oder ich fahre sehr gerne Ski, ich fahre einfach gerne in die Berge.“ Auch solche Auszeiten, genügend „Self-Care“ sollte es geben, findet sie.
Sich Hilfe holen
Um alle diese Ideen im Alltag tatsächlich verwirklichen zu können, ist es notwendig, sich so gut es geht externe Unterstützung zu suchen. „Wir haben uns sehr frühzeitig Hilfe geholt, versucht Philipp auch betreuen zu lassen, zu gucken, dass er in den Kindergarten geht, in eine Schule“, erzählt Katrin Eigendorf. „Es gibt ja diesen berühmten Spruch, wenn du im Flugzeug sitzt: Setzt dir zuerst die Maske auf, dann kannst du anderen helfen. Das gilt im Prinzip auch für Eltern.“ Auch Shari und André konnten auf ein gutes Netzwerk an helfenden Händen zurückgreifen: „nämlich Freunde und Familie“. „Was mich heute noch rührt“, sagt André, „ist, wie Freunde sich um uns gekümmert haben, wie die uns wirklich Suppe vor die Tür gestellt haben, wieder abgehauen sind, ohne zu klingeln, um uns nicht zu behelligen. Wir haben irgendwann aber die Türen aufgemacht, und wir hatten die ganze Zeit Full House, und es war total cool. Das war die beste Therapie, die wir tatsächlich kriegen konnten.“
Austausch und offener Umgang nach außen
Dass für viele Eltern und Familien mit Kindern mit einer Behinderung Austausch und Vernetzung sehr wertvoll sind, haben wir schon öfter thematisiert. Das heißt nicht, dass man direkt Freundschaft mit jedem schließen muss, meint Shari. „Ich will jetzt nicht so eng mit allen sein, aber trotzdem ist es super hilfreich, weil man sich einfach informationsmäßig total unterstützen kann, mit Hilfsmitteln, mit allem, was so anfällt.“
Daneben ist es Shari und André ein großes Anliegen, auch in ihrem ganz „normalen“ Umfeld aufzuklären und den ein oder anderen Vorbehalt präventiv zu überwinden. „Insgesamt hat uns generell ein offensiver Umgang geholfen. Also offensiv mit unseren Problemen, die wir vielleicht haben und offensiv mit der Behinderung, offensiv auch damals mit der Analatresie umzugehen und zu sagen, hey, wir sind hier, das ist uns passiert und das tragen wir auch nach außen, das nehmen wir mit auf dem Spielplatz, wo wir dann mit unseren Kindern waren, in jedes Gespräch, wir erklären und erzählen. Damit öffnet man natürlich Türen“, so André. „Und ja, die Leute finden nicht immer die richtigen Worte, aber Gespräche abzublocken und immer zu sagen, keiner kann verstehen, was wir hier durchmachen, das verstehen nur wir – das finde ich falsch.“
Normalität durch Geschwister
Einen persönlichen Tipp hat Shari noch: „Ich kann nur sagen, dass es sehr hilfreich ist, wenn die Kinder mit Behinderung Geschwister haben, weil es das Familienleben normalisiert. Ich sage immer, unser Leben ist 25 Prozent Kind mit Behinderung und 75 Prozent Kinder ohne Behinderung.“ Sie ergänzt: „Unser Leben ist sehr normal, weil wir auch noch Kinder haben, die in Anführungszeichen ,normale‘ Bedürfnisse haben. Das ist das eine und das andere ist, dass die Geschwisterkinder unglaublich soziale Menschen sind und mit sehr viel Selbstverständlichkeit Menschen mit Behinderungen oder Menschen, die anders sind, entgegentreten. Das ist einfach schön zu sehen. Deswegen sage ich, dass das so gekommen ist, wie es ist, das ist für uns als Familie einfach nur ein absoluter Gewinn gewesen, weil wir einfach viel offener sind. Ich ja selber auch. Hätte mir früher jemand gesagt, du kriegst ein Kind mit Behinderung, hätte ich gesagt: Auf gar keinen Fall, das mache ich nicht, wie soll ich das machen? Ich kann das nicht. Aber ich bin ein ganz anderer Mensch geworden und, wenn man das so sagen darf, ein besserer Mensch. Mari macht uns zu besseren Menschen, auch ihre Geschwister. Ich glaube, dass sie für ihr Leben einiges mitnehmen durch ihre Schwester.“
Nicht aufgeben
Und zum Schluss: Niemals aufgeben. „Wir fallen regelmäßig auf die Schnauze mit allem, was wir tun“, meint André. „Aber wir rappeln uns wieder auf.“ Manchmal hilft es dann, sich wie er daran zu erinnern: „Ey, wir haben schon andere Sachen gepackt, wir packen auch das.“
Ja, der Alltag mit einem Kind mit schwerer Erkrankung oder Behinderung ist oft eine anstrengende Mischung aus Bereicherung und Belastung. Dabei dürfen die Eltern nicht vergessen, dass sie nur das an Kraft geben können, was sie selbst haben. „Damit Familie überleben kann, muss es den Eltern gut gehen“, betont Melanie Hubermann. Und, wie das Beispiel von Shari und André Dietz zeigt, ist mit etwas Klugheit, kleinen Routinen und viel Liebe auch hier ganz viel Glück für alle möglich.

