Geschwister Kinder

Expertenvortrag zur „Außerklinischen Intensivpflege“ (AKI)

Welche Varianten außerklinischer Intensivpflege gibt es? Auf was sollten Betroffene bei der Antragstellung achten? Wie geht man mit einer Ablehnung um? Bei unserem Infoabend zur AKI wurde aufgeklärt und beraten.

Finanzen, Fragen, Formulare: Alles rund um AKI

Außerklinische Intensivpflege (AKI) ist ein komplexes Themenfeld. Für viele Betroffene ist es nicht leicht, sich zwischen individuellen Anforderungen, gesetzlichen Regelungen, komplizierten Formularen, medizinischen Gutachten und sparsamen Krankenkassen zurechtzufinden. Dabei geht es häufig um eine existenzielle Problematik, denn eine außerklinische Intensivpflege wird dann relevant, wenn ein Mensch aufgrund schwerster körperlicher Einschränkungen ständig auf eine spezialisierte Pflegefachkraft angewiesen ist. Sie muss jederzeit einsatzbereit sein, da es aufgrund der gesundheitlichen Verfassung potentiell jederzeit zu einer lebensbedrohlichen Situation kommen kann.

Wir sind sehr dankbar, dass Laura Mench von akse e. V. uns bei einem Online-Vortrag ihre weitreichende persönliche Erfahrung aus ihrem Leben mit AKI und unglaubliche fachliche Expertise zur Verfügung gestellt und umfassend über die Thematik aufgeklärt hat. Am 19. März hatten Betroffene und Interessierte Gelegenheit, sich bei einem Infoabend über die grundsätzlichen Möglichkeiten und Regelungen zur AKI zu informieren, aber auch konkrete Fragen zu stellen.

Was AKI für Betroffene bedeutet

Oft, aber nicht nur, betrifft die Notwendigkeit von AKI Menschen, die dauerhaft beatmet werden müssen. Ursachen können Behinderungen unterschiedlichster Art oder fortschreitende Erkrankungen sein. Allen gemeinsam ist die ständige Angewiesenheit auf eine Pflegeperson sowie eine technische Abhängigkeit etwa von einem Beatmungsgerät und/oder einem Monitor. Das bedeutet im konkreten Alltag für die Betroffenen neben der ohnehin gegebenen immensen körperlichen Einschränkung auch zusätzliche psychosoziale Belastungen. Jeder Mensch braucht immer wieder Abstand, die Möglichkeit zum Rückzug und Zeit für sich alleine. Vor allem für Jugendliche kann das zu einer großen Herausforderung werden, erschwert die ständige Abhängigkeit doch den in dieser Phase üblichen Transitions- und Ablösungsprozess. Zudem spiegelt der Monitor für geübte Augen auch die emotionalen Zustände einer Person. Der Mensch wird nahezu transparent und lesbar – keiner findet das angenehm, am wenigsten vermutlich Jugendliche in der Pubertät.

AKI in Pflegeheimen oder Wohngemeinschaften

In der konkreten Umsetzung gibt es verschiedene Varianten der Intensivpflege außerhalb eines Krankenhauses. Grundsätzlich besteht in Deutschland der Anspruch darauf, die Form der AKI selbstbestimmt, d. h. ohne Beeinflussung durch Dritte und ohne Berücksichtigung der jeweiligen Kostenunterschiede, zu wählen. Eine Möglichkeit sind Beatmungsstationen in Pflegeheimen. Der Vorteil hier sind die hohe Qualifikation der Pflegekräfte und der Wegfall jeglichen Organisationsaufwandes, sobald man einmal eingezogen ist. Nachteilig ist der relativ hohe Versorgungschlüssel von 1:5. Sollten bei mehreren der Patienten gleichzeitig bedrohliche Situationen eintreten, kann eine sofortige adäquate Betreuung eigentlich nicht gewährleistet werden. Zudem ist in der Gestaltung des persönlichen (ohnehin fremden) Lebensumfeldes die Selbstbestimmung stark eingeschränkt.

Eine andere Form der AKI ist die Unterbringung in einer Wohngemeinschaft. Auch hier werden die Patienten ausschließlich von Fachpersonal mit Zusatzqualifikation betreut und der Organisationsaufwand nach Einzug ist eher gering. Wohngemeinschaften zur AKI „schießen gerade wie Pilze aus dem Boden“, berichtete Laura Mench. Damit seien häufig wohnortnah Angebote verfügbar. Auch hier gebe es jedoch oft keinen optimalen Versorgungsschlüssel (1:5 bis 1:2) und häufig (unsinnig) hohe finanzielle Eigenanteile. 

Intensivmedizinische Betreuung zu Hause

Bei einer AKI durch Intensivpflegedienste ist eine 1:1-Versorgung, ebenfalls ausschließlich durch Fachpersonal, das sich um alle Belange der intensivmedizinischen Versorgung kümmert und direkt mit der Krankenkasse abrechnet, gewährleistet. Vorteil ist, dass die Person zu Hause in ihrem gewohnten Umfeld bleiben kann. Von welcher Fachkraft genau die Pflege geleistet wird, kann der Patient hier allerdings ebenfalls nicht entscheiden. Bei Engpässen durch den hohen Personalmangel kommt es hier außerdem häufig dazu, dass Angehörige einspringen müssen und wenn die Pflegefachkräfte auch Aufgaben der Grundpflege übernehmen, fallen zum Teil hohe Eigenanteile an.

Die am meisten Selbstbestimmung gewährleistende Form der AKI ist die Organisation über das im SGB IX verankerte „Persönliche Budget“. Laura Mench bezeichnete diesen Weg als häufigen „Rettungsanker“, wenn es trotz Zusammenarbeit mehrerer Intensivpflegedienste nicht möglich ist, eine 24/7-Versorgung zu gewährleisten (manche Krankenkassen erlauben nur die Abrechnung von maximal zwei Pflegediensten gemeinsam). Bei der Inanspruchnahme des Persönlichen Budgets können die Strukturen und auch das Pflegepersonal frei gewählt werden, Planungsaufwand und Eigenverantwortung sind dafür sehr hoch und die finanziellen Möglichkeiten hängen nicht zuletzt vom Argumentationsgeschick des Betroffenen bzw. seiner Angehörigen ab.

Neue Gesetzeslage: Aufwändigere Formulare

Gesetzlich geregelt ist die außerklinische Intensivpflege und der Rechtsanspruch auf diese Leistung mittlerweile im Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (GKV-IPReG). Mit der Überführung aus der vormaligen HKP-Verordnungsziffer „Krankenbeobachtung“ in dieses Rechtsformat soll die Versorgungsqualität verbessert und mögliches Weaningpotential (Entwöhnung von künstlicher Beatmung) leichter ermittelt werden. Die grundsätzliche Zielgruppe und die Kriterien der Berechtigung haben sich dabei nicht geändert, die Verordnungsformulare allerding schon. Hier zeigt sich, dass in der praktischen Umsetzung die Dinge in Teilen komplizierter geworden sind.

Das ursprünglich einzelne Formular wurde durch drei verschiedene ersetzt, was die tatsächliche Verordnung sehr erschwert. Das Formular 62B beinhaltet die eigentliche Verordnung. Die Betroffenen sollen hier unbedingt darauf achten, dass das Formular eine Rückseite enthält. Im Formular 62C geht es um den Behandlungsplan. Formular 62A ist nur bei der Notwendigkeit künstlicher Beatmung relevant und dient der Potentialerhebung (ob ein Patient potentiell von der Beatmung entwöhnt werden kann). Grundsätzlich gebe es schon viel zu wenige Ärzte, die die AKI-Verordnung ausstellen, bei diesem Formular seien es noch weniger, da es dazu einer besonderen Zusatzqualifikation und eines Vorbereitungskurses, der leider voller Fehler sei, so Laura Mench. Einige Arztpraxen tauchen ungefragt und unfreiwillig in Online-Portalen auf, in denen man sie nach dieser Leistung filtern kann, lassen sich aber aufgrund der Flut an Anfragen oft schnellstmöglich aus der Liste entfernen, was es noch schwieriger macht, einen ausstellenden Arzt zu finden. Insgesamt seien die Formulare alle „super-komplex zum Ausfüllen“, meinte Laura Mench. Das führt häufig zu Fehlern (auch von Arztpraxen) und somit zur Ablehnung der Leistung. Auch manche Gerüchte bei den Pflegediensten, die fürchten, keine Bewilligung für die AKI-Leistung zu bekommen und diese daher aus ihrem Angebot herausstreichen, erschweren die Situation, ebenso die mangelnde Qualität mancher Medizinischer Dienste (MD).

Antragstellung und Widerspruch bei Ablehnung

Ist der Antrag auf Verordnung (Formular 62B Rückseite) bei der Krankenkasse eingereicht worden – hier bei Zusendung per Post auf jeden Fall eine Kopie anfertigen –, schickt diese einen Auftrag zur Begutachtung an den MD. 

Dieser kann nicht entscheiden, ob der Antrag bewilligt wird oder nicht, spricht jedoch eine Empfehlung aus. Der MD ist bundeslandabhängig organisiert und daher oft sehr unterschiedlich in seiner Kompetenz. Bisweilen komme es zu sehr fahrlässigem Verhalten, berichtete Laura Mench aus Erfahrung, etwa der Empfehlung, einfach das Beatmungsgerät abzuschalten, um zu schauen, ob ein Patient alleine atmen könne. Solche Fälle seien unbedingt zu melden. Auch solle man darauf achten, sich nicht unter Druck setzen zu lassen, einen Weaningversuch zu unternehmen, da dieser extreme gesundheitliche Folgen haben kann.

Lehnt die Krankenkasse einen Antrag auf außerklinische Intensivpflege ab, kann ein Widerspruch eingelegt werden. Dies geschieht aktuell nur in etwa 20 Prozent der Fälle, was insofern ausgenutzt wird, dass häufig zunächst eine Ablehnung erfolgt. Wer in den Widerspruch gehen möchte, empfiehlt Laura Mench, soll sich das vollständige MD-Gutachten von der Krankenkasse aushändigen lassen und die darin befindlichen Fehler für die Argumentation nutzen, gegebenenfalls auch mit anwaltlicher Unterstützung. Da es für den Widerspruch eine Frist von vier Wochen gibt, kann zur Not auch zunächst formlos mit dem Vermerk „Begründung folgt“ widersprochen werden. Wird die Unterstützung eines Anwalts in Anspruch genommen und die Leistung nachher bewilligt, muss die Krankenkasse auch die Kosten der juristischen Beratung tragen.

Akse e.V. berät und unterstützt Betroffene

Der ganze Prozess der Antragstellung bis zur Leistungsbewilligung einer AKI dauert im Schnitt drei bis fünf Monate, bei der Wahl des Persönlichen Budgets zum Teil auch länger. Ausnahmefälle gibt es gelegentlich bei akut lebensbedrohlichen Situationen.

Neben diesen umfassenden allgemeinen Informationen rund um die außerklinische Intensivpflege stand Laura Mench während und nach dem Vortrag für persönliche Fragen der Teilnehmer zur Verfügung. Dabei konnte zum Beispiel ein bei einer erfolgten Antragsablehnung zugrundeliegender Irrtum im Fall eines Kindes mit Epilepsie festgestellt werden. Hier hatte die Krankenkasse so argumentiert, dass nur ein Anspruch auf AKI bestehe, wenn das Kind täglich einen Anfall habe. Dies sei im Falle von Epilepsie jedoch nicht ausschlaggebend, so Laura Mench. Entscheidend sei, ob das Kind täglich einen Anfall haben kann und damit die Notwendigkeit besteht, als Pflegeperson ständig in der Nähe und verfügbar zu sein.

Bei einer anderen Familie, die einen Sohn mit Pflegegrad 5 zu Hause betreut, verlangt die private Krankenversicherung alle drei Monate eine Vorlage sämtlicher Dokumentationen. Dies sei eine nicht gerechtfertigte Schikane, fand Laura Mench, riet zu anwaltlicher Unterstützung und betonte, dass die medizinischen Dokumente eigentlich nur für den Medizinischen Dienst und nicht für die Krankenkassen von Belang sind.

Wir danken Laura Mench, unserem „Ass im Ärmel“, wie Sophie Schwartz es treffend formulierte, noch einmal von Herzen für diesen Vortrag und ihr unglaubliches Erfahrungswissen, das sie uns zur Verfügung gestellt hat.  Bei konkreten Fragen und dem Bedarf individueller Beratung stehen die Beraterinnen von  „aktiv und selbstbestimmt e. V.“ auch weiterhin gerne den Betroffenen zur Verfügung.

Der nächste Online-Infoabend findet am 13. Mai von 19:30 bis 21:00 Uhr zum Thema „Wie trauern Kinder?“ statt.

Herzliche Einladung dazu!

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