Worum geht es in dieser Folge?
Wie geht das Leben weiter, wenn der eigene Sohn schwerstbehindert zur Welt kommt – und 17 Jahre später stirbt? In dieser Auftaktfolge von „Ab jetzt Plan B“ erzählen Katrin und Jörg Eigendorf, warum sie nach dem Tod ihres Sohnes Philipp Julius den gleichnamigen Verein gegründet haben – und weshalb sie gemeinsam mit der Stiftung Gesundheitswissen und Humor Hilft Heilen diesen Podcast ins Leben rufen.
Eckart von Hirschhausen spricht mit den beiden über den Schock der Diagnose, über Überforderung, Wut und gesellschaftliche Ignoranz – aber auch über Liebe, Zusammenhalt und die Entscheidung, offen über Schmerz und Stärke zu sprechen. Die Eigendorfs berichten, was ihnen damals fehlte: verlässliche Informationen, Austausch, Entlastung und das Wissen, dass sie nicht allein sind.
Die Folge zeigt, dass aus persönlicher Erfahrung Wissen werden kann – und dass Familien, die mit Krankheit, Behinderung und Verlust leben, mitten im Leben stehen und unsere Gemeinschaft bereichern.
Expertinnen & Experten in dieser Folge
Kerstin von der Hude
Psychosoziale Elternberatung / Palliativversorgung | Charité Berlin
Kerstin von der Hude begleitet seit über 30 Jahren Eltern, deren Kinder direkt nach der Geburt intensivmedizinisch versorgt werden müssen. Ihr Schwerpunkt liegt auf Palliativbegleitung und Trauerarbeit. Sie kennt die emotionalen Ausnahmezustände rund um Diagnose, Klinikalltag und Abschied – und zeigt, wie Familien Halt finden können. Hier findet ihr das ganze Interview.
Prof. Dr. Michèle Wessa
Psychologische Resilienzforschung | Universität Heidelberg, DKFZ, ZI Mannheim
Prof. Wessa erforscht, wie Menschen schwere Lebensereignisse bewältigen und welche Schutzfaktoren Resilienz stärken. Sie macht deutlich, warum Resilienz ein dynamischer Prozess ist – und welche kleinen Übungen Eltern im Alltag entlasten können.
Familien brauchen Unterstützung
Viele von Euch kennen vermutlich die Geschichte von Philip Julius, die auch die Geschichte unseres Vereins ist. In der Auftaktfolge des neuen Podcasts „Ab jetzt Plan B“ erzählen Katrin und Jörg Eigendorf noch einmal die prägendsten Momente ihres Lebens mit ihrem schwerstbehinderten Sohn – vor und nach dessen Tod im Jahr 2011 – und berichten über all das, was sie aus dieser Erfahrung heraus lernen und mithilfe ihres Vereins inzwischen auch anderen Betroffenen weitergeben dürfen.
Der Alltag mit einem schwerstbehinderten oder chronisch erkrankten Kind ist für die ganze Familie hoch belastend, das wissen Katrin und Jörg Eigendorf nur zu gut. Ihr Weg, der sie zu ihrem inzwischen über zehnjährigen Engagement für Familien mit schwerstbehinderten Kindern geführt hat, beginnt im Sommer 1994. Als die jungen Eltern damals erfahren, dass ihr neugeborener Sohn an einem Krampfleiden erkrankt ist und sich nicht normal entwickeln wird, fühlen sie sich wie „aus dem Leben katapultiert“. Die Situation ist komplex und überfordernd und es gibt zu diesem Zeitpunkt kaum Unterstützung für Familien mit schwerstbehinderten Kindern. Katrin und Jörg Eigendorf müssen sich alleine im Wirrwarr von medizinischen Diagnosen, den neuen Anforderungen eines Alltags mit einem pflegebedürftigen Sohn und den eigenen Fragen und Emotionen zurechtfinden. Nach dem Tod von Philip Julius mit nur 17 Jahren entscheiden sie sich, einen Verein zu gründen, der Familien hilft, die Ähnliches erleben. „Die Idee ist, dass was ihr nicht gefunden habt an Unterstützung, heute, ein, zwei, drei Jahrzehnte später verfügbarer zu machen“, fasst Eckart von Hirschhausen, Host und Moderator des Podcasts, das Anliegen der Eigendorfs zusammen.
Einsamkeit verhindern, Hilfe anbieten
Und das ist nach wie vor sehr notwendig, ist Jörg Eigendorf überzeugt. „Diese Familien brauchen unglaublich viel Unterstützung“, sagt er. Durch die alltäglichen Belastungen, aber auch durch Ausgrenzung vom sozialen Umfeld, würden sich betroffene Familien oft zurückziehen und mit ihren Nöten alleine bleiben. „Die Gefahr ist, dass diese Familien sich langsam aber sicher, weil das so hart ist, aus dem Leben rausnehmen“, so Jörg Eigendorf. Hier möchte Philip Julius e.V. mit seinen Vernetzungs- und Entlastungsangeboten bewusst gegenwirken. Und auch im Podcast ermutigen Katrin und Jörg Eigendorf sowohl die Familien selbst, als auch die Gesellschaft, sich nicht zu verschließen. Ja, diese Familien seien anders, meint Jörg Eigendorf. Das gelte es zu erkennen und dann zu schauen, wo man als Außenstehender eventuell Hilfe anbieten kann. „Und helfen heißt übrigens nicht, ich muss da hingehen, muss das Kind pflegen, sondern helfen heißt: Hey, kommt doch mal zu mir rüber zum Abendessen. Und bringt euren Jungen oder Tochter mit, ja?“ Das braucht auch Offenheit von Seiten der Familien selbst. „Türen öffnen, nicht schließen, sich nicht schämen dafür, dass es dann eben ein bisschen dreckiger zu Hause aussieht und vielleicht noch mal die eine oder andere Windel zu viel herum liegt. Ja, sondern Türen öffnen, die anderen Familien reinlassen, zeigen, dass der Berg gar nicht so hoch ist, dass man gemeinsam leben kann. Einsamkeit zerstört unglaublich und diese Familien sind in großer Gefahr, einsam zu werden.“
„Wachsen wird der Mensch immer dann, wenn er bestimmte Herausforderungen erlebt“
Katrin Eigendorf
Für Katrin Eigendorf ist die eigentliche Frage hinter der Gestaltung des Miteinanders und der Akzeptanz von Familien mit schwerstbehinderten Kindern dabei eine ganz umfassende. „Ich glaube, es ist eine grundsätzliche Haltung zum Leben. Wir gehen ja in unseren westlichen Gesellschaften sehr mit der Haltung ans Leben, dass alles optimiert sein muss. Man muss glücklich sein, es muss alles ganz toll laufen. Das ist ja Unsinn. So ist das Leben nicht. Ich glaube, wachsen kann man nicht, wenn man satt und schön auf der Couch liegt und Chips isst. Sondern wachsen wird der Mensch immer dann, wenn er bestimmte Herausforderungen erlebt. Ist das immer schön? Nein, natürlich nicht. Natürlich hätte ich mir gewünscht, unser Sohn wäre nicht so schwer krank gewesen. Aber so ist das Leben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Durchschnittsmensch, der älter als 35 ist, nicht schon einmal im Leben irgendeine Härte erlebt hat. Das halte ich für relativ unwahrscheinlich. Jetzt kann ich vor dieser Härte davonlaufen oder ich kann mich ihr stellen. Und wenn ich mich ihr stelle und versuche damit umzugehen, dann wachse ich als Mensch.“
Resilienz kann man lernen
Das entspricht auch den Erkenntnissen der Resilienzforschung. Resilienz, so die Psychologieprofessorin Michèle Wessa, werde inzwischen definiert als „als das Ergebnis einer gelungenen Anpassung an Veränderungen“. Und diese Anpassung, betont sie, beinhaltet als wichtigen Aspekt auch soziale Unterstützung. „Soziale Unterstützung kann einfach sein, dass ich mit jemandem zusammen bin. Das können Berührungen sein, das kann Nähe sein, die auch auf hormoneller Ebene dazu führen, dass ich mich besser fühle.“ Aber auch konkrete Hilfsangebote, die den Betroffenen einen Moment der Ruhe und Erholung ermöglichen, oder gute Gespräche, die aus negativen Gedankenkreisen herausholen und neue Perspektiven eröffnen, gehören laut Wessa dazu. Und, betont sie, Resilienz sei nicht angeboren, sondern lernbar. „Das heißt, dass wir selbst auch was dazu beitragen können, wie wir auf solche Herausforderungen des Lebens reagieren.“
Für eine ganz besondere Möglichkeit, konstruktiv auf schwierige Situationen zu reagieren, setzt sich seit über 15 Jahren Eckart von Hirschhausen mit seiner Stiftung „Humor Hilf Heilen“ ein. „Du sagst: Ja, das bringt nichts, wenn wir uns nur vergrämen und betrauern, sondern die Kraft wächst auch manchmal aus dem Humor und daraus, die Dinge humorvoll oder mit Leidenschaft oder Freude zu sehen und sich auf bestimmte Sachen einzulassen“, fasst Katrin Eigendorf seine Grundhaltung zusammen. Wer Lachen und Leichtigkeit auch in herausfordernden Phasen seines Lebens nicht verliert, wird sich auch eher daran erinnern, wie schön das Leben ist – trotz allem, und immer wieder die Kraft finden, konkrete Hürden zu meistern.
„Trauer wandelt sich. Aber die Liebe wandelt sich nicht. Die Liebe hat Bestand“
Kerstin von der Hude
Das bedeutet jedoch nicht, die eigenen negativen Emotionen zu ignorieren oder kleinzureden. Als Katrin und Jörg Eigendorfs Sohn 2011 an einer Lungenentzündung stirbt, beginnt für die Familie „die schwierigste Zeit überhaupt“. Für Katrin Eigendorf war der entscheidende Schritt nach vorne in dieser Situation, nicht mehr vor der Trauer zu fliehen, sondern sie bewusst anzunehmen. Etwas, das sie auch anderen Betroffenen empfiehlt: „Ich glaube, dass mein Rat wäre, nicht vor dem Schmerz davonzulaufen. Du musst diesen Schmerz durchleben.“ Ein Schmerz, den viele nicht erst beim Verlust ihres Kindes erleben. „Die Trauer von Eltern beginnt nicht mit dem Tod des Kindes, sondern die Trauer von Eltern beginnt mit der Diagnose. Weil sie dort anfangen zu betrauern, was eben anders sein wird“, sagt Kerstin von der Hude, die an der Charité in Berlin Familien mit schwerkranken Kindern begleitet. Aus ihrer Erfahrung weiß sie, dass es für Eltern, wenn ein Kind verstirbt, erst einmal keinen Trost gibt, aber auch, dass die Trauer sich im Laufe der Zeit verändert. „Trauer ist etwas sehr Dynamisches und Trauer wandelt sich, aber sie wird immer bleiben, weil Trauer die Kehrseite der Liebe ist. Und wenn ich etwas verliere, was ich geliebt habe, dann werde ich immer trauern. Aber Trauer wandelt sich. Aber die Liebe wandelt sich nicht. Die Liebe hat Bestand.“ Das ist eine Erfahrung, die auch die Eigendorfs bis heute machen dürfen. Es ist vor allem die Liebe der Eltern zu ihren Kindern, die diesen Kraft für alle Herausforderungen gibt, meint Jörg Eigendorf. „Ich habe mit meinem Sohn die schönsten Momente meines Lebens gehabt. Einzigartige Momente. In denen ich einfach unglaublich glücklich und erfüllt war, weil er in mir, ja, etwas berührt hat, was sonst kein anderer Mensch berührt“, sagt er im Podcast über seinen Sohn, zu dem er bis heute eine tiefe Verbundenheit empfindet. „Wir haben mehr Sinne als die, über die wir sprechen“, ist Jörg Eigendorf überzeugt. „Und diese seelische Verbindung ist einfach geblieben und er begleitet mich. Und er begleitet uns und auch seine Schwester, er ist bei uns und ein Teil der Familie geblieben und hat seinen Platz.“
Mit guter Gemeinschaft und Unterstützung ist so viel Platz für Glück
In all den Herausforderungen und Belastungen, die der Alltag mit einem schwerstbehinderten Kind mit sich bringt, ist trotz allem so viel Platz für kleine und große Moment des Glücks. Das wird in der Auftaktfolge von „Ab jetzt Plan B“ immer wieder deutlich. Das Gespräch zwischen Eckart von Hirschhausen, Katrin und Jörg Eigendorf und den beiden Expertinnen aus Psychologie und Sozialberatung macht Mut und zeigt, dass dieses Glück mit der passenden Unterstützung für jeden greifbar werden kann. „Sucht euch eine starke Gemeinschaft“, rät Jörg Eigendorf betroffenen Familien. Und wendet sich mit einem Appell schließlich an jeden: „Ich glaube, meine Bitte an alle, die diesen Podcast hören, ist: nicht urteilen, sondern unterstützen.“ So wird nicht nur das Leben für Familien mit schwerstbehinderten Kindern leichter, sondern auch die Gesellschaft als Ganze reicher.

