Nachdem ihr Sohn Fabian als Extremfrühchen auf die Welt geholt werden musste und seither schwer behindert ist, wünschen sich Arndt und Marion ein weiteres Kind. Ein gesundes Geschwisterchen für Fabian. Doch das Schicksal schlägt abermals zu. Auch Tochter Jana wird mit einer schweren Behinderung geboren und das Leben der Familie gerät erneut aus den Fugen.
Vater Arndt erzählt uns heute von einem Alltag, in dem nichts alltäglich ist.
Die Rubrik „Erzähl doch mal…!“ erscheint monatlich auf unserer Homepage und stellt jeweils eine Familie mit einem besonderen Kind vor. Hier werden individuelle Geschichten erzählt und Wünsche und Ziele geteilt, die alle in erster Linie eines tun sollen, nämlich Mut machen.
PJeV: Wie sieht Deine Familie aus?
Arndt: Wir sind Papa Arndt (45), Mama Marion (39) und zwei Kinder, Fabian (15) und Jana (7). Wir kommen aus dem Landkreis Fürth im schönen Mittelfranken südlich des Weißwurst-Äquators.
Wann und wie hast Du von der Behinderung Deiner Kinder erfahren?
Bei Fabian hatte Marion schon in der frühen Schwangerschaft Probleme, doch der Frauenarzt hat diese leider nicht richtig gedeutet. Unsere Hausärztin hat uns jedoch, da ein ungutes Gefühl blieb, zu einem Ultraschallspezialisten geschickt, bei dem sich dann herausstellte, dass sich Fabian bedingt durch eine Plazentaablösung nicht richtig entwickeln konnte. Die einzige Chance auf sein Überleben bedingte jedoch eine Versorgung außerhalb des Mutterleibs. So kam er dann im April 2002 in der 28 SSW mit gerade 410g und 25cm zur Welt. Leider keine guten Voraussetzungen für einen glücklichen Start ins Leben.
Durch die frühe Geburt bekam Fabian Hirnblutungen, massive Infektionen und viele andere Probleme. Die schlimmste Nachricht war für mich, dass Fabian nie wird sehen können.
Nach insgesamt neun Monaten Klinikaufenthalt und etlichen Operationen durfte er endlich nach Hause.
Nach sieben Jahren und mehreren Tests und Beratungen haben wir uns schlußendlich für ein zweites Kind entschieden. Fabian sollte noch ein gesundes Geschwisterchen bekommen, das ihn fordern und fördern würde. So war zumindest der Plan.
Bei Jana verlief die Schwangerschaft zunächst unauffällig. Diesmal war der Ultraschallspezialist von Anfang an Marions behandelnder Frauenarzt. Wir wollten kein Risiko eingehen.
Bei einer frühen Ultraschalluntersuchung zeigte sich jedoch, dass das Gesichtsprofil von Jana auffällig war und das linke Auge fehlte. Die Hirnwindungen auf der linken Seite waren im Ultraschall zunächst nicht eindeutig darstellbar, dann schien wieder alles in Ordnung und wir konnten kurzzeitig aufatmen.
Jana kam etwa vier Wochen vor dem errechneten Geburtstermin zur Welt. Nach einer Woche bekam sie heftige epileptische Anfälle, die erst Monate später durch eine hochkomplexe Gehirnoperation behandelbar waren. Jana fehlt die linke Hirnhälfte und sie hat dadurch ebenfalls viele Probleme. Nach ihrer Geburt war das Krankenhaus fünf Monate lang unser zweites Zuhause.
Inwiefern sind Deine Kinder beeinträchtigt und wie gehst Du damit um?
Beide Kinder benötigen rund um die Uhr und überall Hilfe. Fabian kann nicht sehen, nicht sprechen, nur eingeschränkt laufen und muss gefüttert, gewickelt und betreut werden. Die Kommunikation ist sehr schwierig. Wir versuchen, vieles von seinem Verhalten abzuleiten.
Jana hat links kein Auge. Auf dem rechten Auge hat sie zwar auch eine Fehlbildung (Kolobom), kann aber zumindest ein wenig sehen. Das erleichtert die Kommunikation mit ihr ungemein. Durch die fehlende linke Hirnhälfte ist Jana auf der rechten Seite motorisch stark eingeschränkt. Jana kann ebenfalls nicht laufen. Auch sie benötigt viel Hilfe.
Unser Leben dreht sich natürlich fast nur um die Kinder. Sie sind unser ganzer Lebensinhalt. Wie in jeder Familie gibt es mal gute und mal schlechte Tage. Im Großen und Ganzen sind wir aber eigentlich eine recht glückliche Familie, wenn auch alles etwas anders ist bei uns. Aber was ist im Gegenzug schon „normal“? Wir leben nach dem Motto „Wege entstehen, indem man sie geht“.
Wie sieht Dein Alltag aus?
Der Alltag ist mehr oder weniger von den Kindern geprägt. Alles ist nach ihnen ausgerichtet und wir sind inzwischen zwangsläufig sehr strukturiert. Das brauchen zum einen die Kinder im Sinne von Ritualen, zum anderen hilft es uns, an alles zu denken. Zum Glück gibt es Wischtelefone, die bei der Planung und Strukturierung des Alltags eine gute Unterstützung leisten. Unser ganzes Leben spielt sich auf unseren Smartphones ab.
Wir funktionieren wie eine kleine Firma. Durchstrukturiert bis ins kleinste Detail. Leider muss sich unser privates Umfeld oft anpassen. Treffen mit Freunden müssen wir häufig spontan wieder absagen, wenn es den Kinder nicht gut geht.
Natürlich spielt bei mir auch die Arbeit eine nicht unwesentliche Rolle. Der Spagat zwischen Beruf und Familie ist manchmal gar nicht so einfach, zumindest, wenn man beides richtig und gut machen will. Wir versuchen aber, trotz allen Herausforderungen des Alltags eine ganz normale Familie zu sein und uns auch Zeit für Hobbys und persönliche Auszeiten zu nehmen.
Was macht Dich im Alltag glücklich? Und welche Momente sind hingegen besonders schwer?
Glücklich bin ich, wenn beide Kinder lachen und in ihrer Welt zufrieden sind. Schmerzfreiheit spielt dabei eine nicht unwesentliche Rolle.
Besonders schwer sind natürlich die Momente, in denen es den Kids nicht gut geht oder wir gemeinsam mit Ärzten über das weitere Schicksal entscheiden müssen.
Am schlimmsten ist die Hilflosigkeit, wenn es unseren Kindern nicht gut geht, aber wir Eltern nicht wissen, was ihnen fehlt und sie es nicht mitteilen können. Diese Sorge haben wir leider öfters. Die Situationen kann auch mal kurzfristig von „sehr gut“ auf „sehr schlecht“ umschlagen. Das drückt oft auf die Stimmung.
Die Tatsache, dass beide Kinder nicht sprechen können, belastet mich persönlich sehr.
Wer betreut Deine Kinder? Wie habt Ihr die Pflege organisiert?
Beide Kinder gehen unter der Woche ins Blindeninstitut Rückersdorf zur Schule. Jana kommt am frühen Nachmittag nach Hause. Fabian besucht auch die Tagesstätte und kommt gegen 17:00 Uhr zurück. Marion geht nicht arbeiten, „leitet zuhause erfolgreich ein kleines Familienunternehmen“, kümmert sich um den Haushalt und fährt mit Jana zu den verschiedenen Terminen, die am Nachmittag noch anstehen.
Bei der Versorgung der Kinder hat sich die „Geschlechtertrennung“ eingebürgert. Wenn ich zuhause bin, kümmere ich mich um Fabian, Marion versorgt Jana. Für die nächtliche Versorgung oder wenn Fabians längere Wachphasen hat, steht Marion auf. Außerdem habe wir zwei „Perlen“, die uns immer wieder mal stundenweise unterstützen, wenn dies notwendig ist. Wir haben das große Glück, dass Oma und Opa direkt nebenan wohnen, so dass wir hier ebenfalls Unterstützung haben.
Unser Freundeskreis hat sich über die Jahre sehr verändert. Aber die Leute, die wir zu unseren Freunden zählen dürfen, sind uns auch eine Stütze, wenn es mal brennt.
Was machst Du beruflich? Und wie sieht Dein Arbeitsalltag aus?
Ich arbeite an vier Tagen der Woche in einer kleinen Steuerkanzlei und bin der Ernährer der Familie. Um kurz nach 7 Uhr gehe ich aus dem Haus, bin aber schon um 16:30 Uhr wieder zurück. Der Tag ist meist durchgetaktet und von Terminen bestimmt. Am Mittwoch arbeite ich nicht und kümmere ich mich um den anfallenden Papierkram. Ich kann sogar die Waschmaschine bedienen und nehme auch gelegentlich das Bügeleisen zur Hand.
Manchmal ist der Mittwoch auch einfach nur ein Gammeltag, je nachdem wie schlecht die Nächte vorher waren.
Was bedeutet Urlaub für Euch?
Urlaub ist für uns wie zuhause, nur woanders. Die Betreuung und Versorgung muss auch dort weitergehen. Jana und Fabian können ja nicht einfach in den Kids-Club oder ähnliches gehen.
Trotzdem ist Urlaub sehr schön. Wir fahren fast immer an die Ostsee und können uns auch ganz gut erholen. Wir haben für die Rollstühle Outdoor-Räder und kommen fast überall hin.
Vieles steht und fällt letztendlich mit den Schlafproblemen von Fabian. Wenn er eine gute Phase hat und nachts schläft, können wir auch gut was vom Urlaub mitnehmen. Seit ein paar Jahren bekommen wir einmal im Jahr eine Einladung von einem Verein aus München, der betreute Aufenthalte für die gesamte Familie auf dem Irmengardhof am Chiemsee durchführt. In dieser Woche werden die Kinder stundenweise von Kinderkrankenschwestern professionell versorgt. Wir Eltern haben so die Möglichkeit, mal den Kopf frei zu bekommen und Dinge zu tun, die wir mit den Kindern nicht machen können. Zeit für uns haben zum Beispiel.
Wenn Ihr als Familie gemeinsam Urlaub macht, wie plant Ihr?
Urlaub ist eine feine Sache, es muss aber alles gut überlegt und geplant werden.
Wir haben einen tollen Anbieter an der Ostsee gefunden, der Ferienhäuser/-wohnungen anbietet, die zwar nicht per se behindertengerecht, aber zumindest rollstuhltauglich sind. Außerdem benötigen wir immer viel Platz, da Fabian unbedingt alleine schlafen muss. Die Urlaubsfahrt erinnert immer mehr an einen Umzug, da wir von den Rollstühlen bis zum Reisepflegebett alles mitnehmen müssen. Marion hat inzwischen Checklisten, damit wir nichts vergessen.
Außerdem sehen wir immer zu, egal wohin wir fahren, dass eine Kinderklinik und ein deutsch sprechender Arzt in maximal einer Stunde erreichbar sind.
Wo habt Ihr Euren schönsten Urlaub verlebt?
Unser größtes Abenteuer und auch unseren für mich schönsten Urlaub haben wir auf der Karibikinsel Curacao verbracht. Jana und Fabian haben dort eine Delphintherapie gemacht. Das war zwar sehr aufwändig, da es eine sehr lange Flugreise war. Die Erinnerungen kann uns aber keiner mehr nehmen. Die Kinder haben in der Zeit unglaubliche Fortschritte gemacht.
Welche Wünsche und Pläne habt Ihr für die Zukunft?
Mein größter Wunsch ist, dass sich die Kinder weitestgehend stabil entwickeln, wir als Eltern gesund bleiben und wir immer genügend Kraft, Ausdauer, Liebe und Humor für unsere zwei „Spezialisten“ haben. Wir haben in den letzen fünf Jahren unser Haus sukzessive behindertengerecht umgebaut, einen Aufzug und eine große Dusche eingebaut, die Terrasse und den Eingang rollitauglich gestaltet, so dass das häusliche Umfeld für unsere Kinder nahezu optimal ist.
Große Pläne machen wir eigentlich nicht, wir leben im Hier und Jetzt. Wir haben vor ein paar Wochen ein Lastenfahrrad bestellt, damit wir mit den Kindern Ausflüge in die Natur unternehmen können. Darauf und auf die bevorstehende „Draußen-Saison“ freuen wir uns schon sehr. In diesem Sinne: Carpe diem.
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