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Philip Julius

# der letzte Irrsinn: Schwerstkrankem Mädchen Impfung verwehrt

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# der letzte Irrsinn: Schwerstkrankem Mädchen Impfung verwehrt

UPDATE 10.03.21: Anna hat zwischenzeitlich ihre erste Impfdosis erhalten. Das Impfzentrum hat den Gerichtsbeschluss umgesetzt. Bisher hält die Stadt Frankfurt aber dennoch an ihrer Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof Kassel fest.

Das Land Hessen veröffentlichte zwischenzeitlich einen Leitfaden zur Beantragung von Einzelfall- / Härtefall-Entscheidungen.

https://corona-impfung.hessen.de/faq/impfstrategie/einzelfall-und-härtefall

Annas Mutter erzählt:

Wir leben mit unseren beiden Töchtern (acht und vier Jahre alt) in Frankfurt am Main. 

Unsere ältere Tochter Anna, die eigentlich anders heißt, ist aufgrund einer Gehirnfehlbindung (Lissenzephalie) umfassend behindert. Sie hat den Entwicklungsstand eines ca. zwei Monate alten Säuglings. Sie kann nicht laufen, nicht sitzen und nicht sprechen. Und sie ist extrem anfällig für Atemwegsinfekte. Wegen Lungenentzündungen war sie bereits mehrfach im Krankenhaus und musste beatmet werden. Zuletzt lag sie im Mai 2019 mit einer viralen Lungenentzündung auf der Kinderintensivstation. Dort wurde sie über eine Woche lang beatmet. Sie hat diesen Infekt nur knapp überlebt. Lungenentzündungen sind die häufigste Todesursache bei Kindern mit Lissenzephalie.

Aufgrund ihrer Grunderkrankungen ist Anna einem signifikant erhöhten Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf durch das Coronavirus ausgesetzt. 

Daher leben wir seit ungefähr einem Jahr in weitgehender Isolation und in ständiger Angst vor einer Infektion mit dem Corona-Virus. Wir arbeiten von zuhause und die Kinder gehen nicht in die Schule bzw. in den Kindergarten. Eine vollständige Isolation ist jedoch nicht möglich. Wir werden zuhause von zwei Intensivpflegediensten unterstützt, unter der Woche ca. 18 Stunden pro Tag, am Wochenende nur nachts. Von den Pflegekräften ist noch keine einzige gegen das Corona-Virus geimpft. Im August war eine Corona-positive Pflegekraft bei uns im Einsatz. Das Gesundheitsamt hat daraufhin unsere gesamte Familie unter Quarantäne gestellt. Glücklicherweise kam es trotz des zwangsläufig sehr engen Kontaktes mit Anna nicht zu einer Ansteckung.

Nach der Entwicklung des Impfstoffes setzten wir unsere Hoffnung in eine schnellstmögliche Impfung für Anna. Auch ihre behandelnden Ärzte, ihr Kinderarzt und ihre Neurologin, befürworten ihre sofortige Corona-Schutzimpfung, da zu befürchten ist, dass sie eine Corona-Infektion möglicherweise nicht überleben würde.

Die Impfung von Kindern im Off-Label-Use

Einer Impfung steht nicht entgegen, dass der Impfstoff für Kinder unter 16 Jahren (noch) nicht zugelassen ist. Denn in bestimmten Situationen ist eine zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln und Impfstoffen (sog. Off-Label-Use) erlaubt. Die medizinische Entscheidung über einen Off-Label-Use trifft der behandelnde Arzt bzw. die behandelnde Ärztin im Rahmen seiner bzw. ihrer Therapiefreiheit.

Der Virologe Prof. Dr. Christian Drosten hat sich am 02.02.2021 gegenüber NDR Info speziell zum Off-Label-Use des Corona-Impfstoffes bei Kindern geäußert:

„Erst mal muss man sagen: Auch Kinder können schwere Verläufe haben. Und auch bei Kindern gibt es Risikopatienten. Es gibt viele Kinder, die ein Grundrisiko haben und bei denen man nicht möchte, dass die sich mit diesem Virus infizieren. Dazu kann man aber auch gleich wieder was Gutes sagen, nämlich Kinderärzte dürfen solche Kinder durchaus mit einem Erwachsenen-Impfstoff impfen. Also das ist nicht so, dass ein Kinderarzt einen Impfstoff, der für Erwachsene zugelassen ist, jetzt unter keinen Umständen dem Kind geben darf. Einem Risikokind wird man einen Impfstoff geben.“

In Annas Fall haben die behandelnden Ärzte nach sorgfältiger Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses die Entscheidung zugunsten einer schnellstmöglichen Impfung im Off-Label-Use getroffen. Außerdem hat der behandelnde Kinderarzt seine Bereitschaft erklärt, die Impfung auch selbst zu verabreichen. Zu einer Impfung ist es dennoch bis heute nicht gekommen. 

Das Gerichtsverfahren

Im Januar 2021 haben wir beim Gesundheitsamt Frankfurt einen Antrag auf Schutzimpfung für Anna gestellt. Nachdem das Gesundheitsamt dem nicht nachgekommen ist, haben wir wegen der Eilbedürftigkeit der Sache Anfang Februar 2021 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Verwaltungsgericht Frankfurt gestellt. Wir sind beide Rechtsanwälte, Annas Vater ist außerdem als Fachanwalt auf Verwaltungsrecht spezialisiert. 

Das Verwaltungsgericht Frankfurt hat den Off-Label-Use bestätigt und Anna einen Impfanspruch zuerkannt. Als Person mit einer geistigen Behinderung gehört Anna nach der Corona Impfverordnung der Personengruppe mit der zweithöchsten Impfpriorität an. 

Bis heute haben wir keine Nachricht der Stadt erhalten, wann und wie eine Umsetzung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts erfolgen kann. Die Stadt reagiert weder auf unsere telefonischen noch auf unsere schriftlichen Anfragen, hat aber mittlerweile Beschwerde gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eingelegt. Diese Beschwerde führt vorerst nur dazu, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht rechtskräftig wird. Sie ändert aber nichts daran, dass die Stadt bis auf weiteres rechtlich verpflichtet ist, den Vorgaben des Verwaltungsgerichts erst einmal nachzukommen.

Seit dem 23. Februar 2021 können sich in Hessen Personen, die – wie Anna – der Gruppe mit zweithöchster Impfpriorität angehören, für einen Impftermin registrieren lassen. Eine Registrierung für Personen unter 16 Jahren ist jedoch nicht möglich. Wir können Anna also nicht für eine Impfung anmelden, obwohl das Verwaltungsgericht Frankfurt festgestellt hat, dass Anna einen Anspruch auf eine solche Impfung hat. Wir können daher nur weiter warten, bis die Stadt sich endlich um Annas Impfung kümmert. 

Jeder Tag, der vergeht, birgt für Anna ein tödliches Risiko, zumal die Schulen wieder geöffnet haben (einige der bei uns eingesetzten Pflegekräfte haben schulpflichtige Kinder) und sich verschiedene Virusmutationen rasant ausbreiten.

Anmerkung der Redaktion: wir unterstützen Annas Familie aktuell dabei, ihr Recht durchzusetzen und ihre Geschichte zu erzählen.

13.03.21: Wetterauer Zeitung: „Schwerstbehindertes Kind kämpft um Corona-Impfung: Jetzt gibt es Hoffnung“

25.02.21: Frankfurter Neue Presse, „Es geht um Leben und Tod: Kind braucht dringend Corona-Impfung – Stadt Frankfurt weist Verantwortung von sich“

Fotos © Karolina Krausser, Frankfurt

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