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Philip Julius

Von Geschwistern für Geschwister und die Kraft der Katy Perry

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Von Geschwistern für Geschwister und die Kraft der Katy Perry

Ein Erfahrungsbericht von Marian Grau

Inmitten der dichten Nadelwälder des Schwarzwaldes, am Hang eines kleinen Tals, liegt der Baschnagelhof. Im großen Garten um das alte Schwarzwälder Bauernhaus ist Schwedenschach aufgebaut, die Holzstäbe kann ich bereits vom Parkplatz durch die Luft fliegen hören. Ich bin im Dorf gewesen, habe Marshmallows für den Abend gekauft. Die Nachfrage am gestrigen Lagerfeuer war derart groß, dass befürchtet werden musste, sie könnten nicht für den heutigen Abend reichen. Ein Glück habe ich nun vorgesorgt.

Vier Tage haben wir im Rahmen der ersten Begegnung für Geschwister im Alter von 12 – 17 Jahren hier verbracht. Wir waren gemeinsam in der Natur, haben uns im StandUp- Paddling auf dem Schluchsee versucht, wild getanzt und stundenlang “Werwolf” am Lagerfeuer gespielt.

MEHR ALS EINE FREIZEIT

Doch was nach gewöhnlicher Ferienfreizeit für Jugendliche klingt, ist eigentlich noch viel mehr. Der alte Baschnagelhof ist dieser Tage Zeuge eines ganz besonderen Treffens: Unter den mächtigen Ästen des großen Baumes im Garten spielen Kinder, die zuhause ein schwer krankes Geschwisterkind haben oder deren Geschwister nicht mehr am Leben ist.

Zum ersten Mal hat Philip Julius e.V. jene besonderen Brüder und Schwestern zu diesem außergewöhnlichen Format eingeladen: gemeinsame Tage im Schwarzwald; Zeit für die Kinder, um herauszukommen aus dem Alltag, um abzuschalten und neue Freundschaften zu schließen.

Das Besondere an unserem Konzept: Mit Amelie, Aaron und mir sind drei des fünfköpfigen Betreuungsteams selbst Geschwisterkinder. Wir haben einen annähernd vergleichbaren familiären Hintergrund und wissen aus erster Hand, was es heißt, Rücksicht nehmen zu müssen auf die Erkrankung des Bruders oder der Schwester. Auch alterstechnisch sind wir den Kindern sehr nah.
Das hatte zum einen den Vorteil, dass wir auf unseren Küchenparties bei der Musikwahl schnell auf einen gemeinsamen Nenner kamen – Katy Perry zum Beispiel. Viel wichtiger aber noch:

DER GERINGE ALTERSUNTERSCHIED UND UNSERE EIGENE BIOGRAPHIE MACHEN UNS NAHBAR FÜR DIE KINDER.

Wir Betreuer sind dabei so verschieden wie die Kinder selbst. Ich hatte den Eindruck, dass die Kinder schnell ein Gespür dafür entwickelten, wem sie sich anvertrauen können und möchten. Wir erhoffen uns von dieser ganz besonderen Zusammensetzung des Teams, und nicht zuletzt dem sehr guten Betreuungsverhältnis, den Geschwistern eine einzigartige Begleitung anbieten zu können.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Hürden, sich jemandem anzuvertrauen, sehr hoch sein können. Insbesondere, wenn man sich gar nicht so gut kennt und das Vertrauen noch nicht da ist.

DIE KRAFT DER KATY PERRY

Vertrauen lässt sich nicht binnen vier Tagen aufbauen. Aber eine gewisse Nähe zwischen uns Betreuenden und den Kindern war von Tag 1 an spürbar. Und da kommt Katy Perry ins Spiel. Spätestens, wenn ich mit meiner drei- bis vierköpfigen Koch-Truppe in der Küche verschwand und wir die Musikbox anwarfen, wurde dem ganzen Schwarzwald klar, dass diese Freizeit von jungen Menschen für junge Menschen organisiert wurde. Tanzend kochen, das wurde schnell zur Regel auf dem Baschnagelhof.

Die Wahl einer Selbstversorgerunterkunft war ein Risiko; bedeutete sie doch einen gewaltigen organisatorischen Mehraufwand. Für die Kids hieß das auch, dass für die Mahlzeiten alle mitverantwortlich waren. Doch die Mühe hat sich gelohnt: Der Schichtdienst, an dem sich die wenigsten Kinder zu Beginn der Freizeit erfreuten, wurde wenig später zu einem Privileg und nicht selten halfen freiwillig mehr Hände als nötig bei der Zubereitung unserer Mahlzeiten. Das Kochen wurde zum Gemeinschaftsevent, für das die Kids selbst morgens um sieben gut gelaunt in der Küchentür standen. Und wir Betreuer wurden nicht nur als Betreuer und Chefköche angesehen, sondern auch als die jungen Menschen, die wir sind. Dies hat die Kinder uns gegenüber ein Stück weit geöffnet. Und dazu hat Katy Perry mit ihrer Musik zumindest einen kleinen Beitrag geleistet.

Die Betreuung der Geschwisterbegegnung war in vielerlei Hinsicht eine Mammutaufgabe: Das Programm wollte durchgezogen, die Mahlzeiten in der Küche gekocht werden – und auch die Gruppendynamik schlug gelegentlich um. Dann waren wir froh um professionelle Unterstützung von Desirée und Verena, die das Betreuerteam ergänzen und insbesondere dann eingreifen konnten, wenn es doch mal brenzlig wurde.

UND DANN WAREN DA GESPRÄCHE, DIE DIE KINDER VON SICH AUS ERÖFFNETEN, “AUS DEM NICHTS” UND VÖLLIG UNVORHERGESEHEN VON UNS BETREUERN.

Das zeigt auch die Notwendigkeit solcher Angebote für Geschwisterkinder. Wir möchten den Kindern eine Plattform bieten, sich untereinander zu vernetzen und gegenseitig in den Austausch zu gehen. Als jemand, der selbst bereits solche Angebote wahrgenommen hat, weiß ich, dass die Geschwisterkinder häufig untereinander ihre besten Ansprechpartner sind und die meisten Gespräche “hinter den Kulissen” geführt werden. Gleichzeitig sollen die Jugendlichen wissen, dass sie bei uns Betreuern, vielleicht auch im Besonderen bei uns erwachsenen Geschwisterkindern immer ein offenes Ohr finden.

Für mich, der zum ersten Mal eine Jugendfreizeit betreut hat, war es ein ganz besonderes Wochenende. Elf Jahre nach dem Tod meines Bruders anderen Geschwisterkindern ein so umfangreiches Projekt ermöglichen, ein offenes Ohr und eine Schulter anbieten zu können, das hat mich mit Sinn erfüllt. Geschwisterkinder zu betreuen hat sich als große persönliche Bereicherung herausgestellt.

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