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Philip Julius

„Erzähl doch mal… Anja!“

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Im Alter von elf Jahren erleidet Alena eine schwere Hirnblutung. Die Ärzte geben ihr zunächst keine Überlebenschance. Doch ihre Familie kämpft für Alena und steckt jeden Cent in Therapien. Die Eltern und Alenas Schwester glauben an das Unmögliche …
… und werden letztlich belohnt.
Die Rubrik „Erzähl doch mal…!“ erscheint monatlich auf unserer Homepage und stellt jeweils eine Familie mit einem besonderen Kind vor. Hier werden individuelle Geschichten erzählt und Wünsche und Ziele geteilt, die alle in erster Linie eines tun sollen, nämlich Mut machen.

PJeV: Wie sieht Deine Familie aus?
Anja: Unsere Familie besteht aus Ralf (52), Larissa (22), Alena (21) und mir, Anja (49), Zudem gehört noch Jasko zu uns, ein Entlebucher Sennenhund, der im Jahre 2009 unsere Familie bereichert hat.

Familie Baum (v.l. Larissa, Alena, Anja und Ralf) © Anja Baum

Wann und wie hast Du von der Behinderung Deines Kindes erfahren?
Wir waren bis zum 4. Juni 2008 eine ganz normale Familie mit zwei gesunden Kindern, geregeltem Einkommen, keinen großen Sorgen. Die Schule lief für unsere beiden Töchter sehr gut und nichts deutete darauf hin, dass sich unser Leben bald ganz plötzlich und dramatisch ändern sollte.
Der 3. Juni war ein Tag wie jeder andere. Ich war beruflich lange unterwegs. Als ich nach Hause kam, rief Alena mir freudig ein „Hallo Mama!“ entgegen und spielte weiter mit ihrem heissgeliebtem Basketball.
Wir haben an diesem Abend gemütlich zusammen gegessen und uns – wie so viele andere Familien wohl auch – darüber „gestritten“, ob unsere Kinder noch Germany´s Next Topmodel schauen dürfen oder ins Bett gehen müssen, da am nächsten Tag Schule war. Zum Leidwesen unserer Töchter hiess es jedoch „Ab ins Bett!“.
In der Nacht kam Alena, wie jede Nacht, in unser Bett gekrochen. Doch morgens um kurz nach 5 Uhr fing sie plötzlich aus dem Schlaf heraus ganz fürchterlich an zu schreien. Wir dachten zunächst sie habe einen bösen Traum und versuchten, sie zu wecken.
Uns war schnell klar, dass etwas nicht stimmte. Alena hatte die Augen ganz weit aufgerissen, der Blick war leer und sie reagierte nicht auf Ansprache. Ralf hat sie ins Wohnzimmer getragen, während ich den Notarzt rief.
Ich erinnere mich noch daran, dass ich darauf bestanden habe, dass sie gleich einen Arzt mitschickten und nicht nur den Krankenwagen. Ich wusste wohl instinktiv, dass die Situation sehr ernst war.
Alena kam in die Kinderklinik nach Paderborn und da man einen Krampfanfall vermutete, dauerte es sehr lang, bis der Chefarzt hinzugerufen und ein MRT angeordnet wurde. Hier sah man dann, dass etwas in ihrem Kopf war, was dort nicht hingehörte.
Alena wurde umgehend intubiert und in eine Spezialklinik nach Bethel verlegt, wo nach weiteren Untersuchungen festgestellt wurde, dass sie ein Angiom in ihrem Kopf hatte, also einen Blutschwamm bedingt durch eine angeborene Gefäßmissbildung.
Das Angiom saß an einer sehr ungünstigen Stelle und die Neurologen berieten lange über ihren Fall. Klar war, dass man nur unter größten Risiken würde operieren können und in jedem Fall bleibende Schäden zu erwarten wären.
Die Entscheidung wurde uns jedoch abgenommen, denn das Hirnbluten war so stark, dass es keine Alternative zur Operation gab. Uns wurde jedoch keine Hoffnung gemacht, dass Alena den Eingriff überleben würde. Es sah einfach zu ernst aus. Unsere Gefühle in dem Moment kann ich heute noch nicht beschreiben.
Man wies uns an, nach Hause zu fahren, doch da wir in der Nähe bleiben wollten, haben wir uns ein Hotelzimmer genommen Dort lagen wir dann zu dritt im Bett, Ralf, Larissa und ich, betetend und auf einen Anruf warteten. Dieser kam nach 12 Stunden. Alena hatte die Operation überlebt.
Wir durften dann am nächstem Morgen kurz zu ihr und der Anblick von unserem Kind, was einen Tag vorher noch fröhlich und gesund gewesen war, hat uns an den Rand des Abgrundes geschleudert.
Alena wurde in der Folge noch zwei Mal operiert. Auf Grund des starken Hirndrucks und der Schwellung wurden Teile des Schädelknochens entfernt. Hoffnung konnte man uns zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht geben.
Nach zwei Wochen begannen die Ärzte damit, Alena aus dem künstlichen Koma Schritt für Schritt zurück zu holen. Ihr kleiner Körper hatte schwer zu kämpfen. Aber sie hat es geschafft.

Alena © Anja Baum

Inwiefern ist Dein Kind beeinträchtigt und wie gehst Du damit um?
Wir wurden während der Zeit in Bethel auf alle Eventualiäten vorbereitet und niemand konnte uns sagen, ob und wie Alenas Zustand sich entwickeln würde. Es war jedoch schnell klar, dass Alena alle Fähigkeiten verloren hatte. Sie konnte nicht mehr sprechen, sitzen, stehen, gehen, schreiben. Sie konnte nicht einmal mehr ihren eigenen Kopf halten.
Für Larissa, ihre ein Jahr ältere Schwester, war das noch unbegreiflicher als für uns und sie litt sehr intensiv mit ihrer Schwester mit. Wir haben Larissa immer offen, aber möglichst kindgerecht über den Zustand ihrer Schwester berichtet und uns bemüht, sie eng einzubeziehen.
Im Anschluss an den Krankenhausaufenthalt war ich mit Alena ein halbes Jahr lang in Hattingen in der Frühreha, wo umgehend mit den Therapien begonnen wurde. Wann immer es ging, war auch Larissa bei uns. Das war mir sehr wichtig, denn ich wollte nicht, dass sie mit ihren Sorgen und Ängsten 150 km von uns entfernt zu Hause sein musste.
Der Papa kam an jedem Wochenende. Und als Alena nach drei Monaten das erste Mal weinte, als der Papa nach Hause fuhr, wusste ich, ab jetzt geht es aufwärts.
Als wir im Dezember aus der Rehaklinik entlassen wurde, ging es direkt mit Therapien zuhause weiter. In den ersten Jahre waren wir eigentlich kaum daheim. Wir machten jede nur erdenkliche Therapie und hofften auf jeden noch so kleinen Fortschritt.
All unser Erspartes, jeder Euro, floss fortan in Therapien, um Alena so fit wie nur irgend möglich zu bekommen und ihr eine Entwicklung, kleine Schritte hin zur Normalität zu ermöglichen.
Der Erfolg hat uns recht letztendlich gegeben. Nach jahrelangen Therapien kann Alena wieder laufen und sprechen, ja sogar schreiben und lesen.

Alena © Anja Baum

Wie sieht Dein Alltag aus?
Mittlerweile gehe ich wieder drei mal in der Woche arbeiten und kann das auch ziemlich gut mit Alena und ihren Therapien vereinbaren.

Alena wohnt seit ca. sechs Wochen in einem Internat, wo sie ein elfmonatiges Praktikum zur Berufsfindung macht. An drei Tagen in der Woche fahre ich zu ihr, um ihr bei der Pflege zu helfen oder sie zu Therapien zu fahren.
Wenn ich an die 9 Jahre denke, die hinter uns liegen, dann kann man fast von Normalität sprechen. Wir führen wieder ein ganz normales Leben.
Alena genießt ihre neugewonnene Freiheit und schließt Freundschaften. Das ist für uns gerade deshalb besonders schön zu beobachten, da aus ihrem „alten Leben“ vor ihrer Erkrankung keine Freundschaften geblieben sind. Wie auch? Natürlich kann man 11-jährigen Mädchen nicht vorwerfen, dass sie sich nicht dauerhaft für eine Freundin engagieren, die plötzlich auf den Entwicklungsstand eines Babys zurückgeworfen wurde.

Was macht Dich im Alltag glücklich? Und welche Momente sind hingegen besonders schwer?
Mich macht es unglaublich glücklich, wenn ich mir Alenas Fortschritte ansehe. Wenn ich sehe, dass sie nicht nur lebt, sondern sich Schritt für Schritt ins Leben zurück kämpft. Sie hat einen schier unerschöpflichen Haushalt an positiver Energie.
Ich bin sehr stolz darauf, dass unsere Familie trotz allem nie aufgegeben hat und wir uns immer aufeinander verlassen können. Jeder von uns musste viel aushalten und zurückstecken. Aber gemeinsam haben wir es geschafft, uns gegenseitig gestärkt.

Besonders stolz bin ich auf Larissa, die Alena oft viel mehr zugetraut hat als wir Erwachsenen. Nicht zuletzt aus dieser Geschwisterbindung hat Alena viel Kraft gezogen und Willen entwickelt.
Aber natürlich gab es auch Tiefen. Ganz am Anfang war es zum Beispiel unheimlich schwer für mich, Alenas Freundinnen zu begegnen. Zu sehen, welche Wege sie gehen und wie sie sich weiterentwickeln. Oft habe ich gedacht „Das könnte Alena sein, wenn sie gesund geblieben wäre.“

Wer betreut Dein Kind? Wie habt Ihr die Pflege organisiert?
Mein Mann und ich haben uns die Pflege aufgeteilt. Mal bin ich Vollzeit arbeiten gegangen, dann wieder er. Aktuell arbeitet er wieder in Vollzeit und ich mache Teilzeit, denn auch nach neun Jahren dominieren die Therapien noch unseren Alltag.
Was machst Du beruflich? Und wie sieht Dein Arbeitsalltag aus?
Ich bin mit Herz und Seele in der Modebranche tätig. Früher war ich Filialleiterin in einem Geschäft und habe dort sowohl den Einkauf als auch den Verkauf gemacht.
Nun arbeite ich an drei Tagen in der Woche und leider nur noch im Verkauf, aber immer noch mit großer Freude.
Mittlerweile kann ich meinen Beruf ganz gut mit unsrem Alltag zuhaue und Alenas Therapien verbinden. Das war nicht immer so. Es gab auch Zeiten, da haben wir gerudert um überhaupt über Wasser zu bleiben. Da hätten wir uns einen Goldesel im Keller gewünscht und uns – wie so viele Familien in unserer Situation – gefragt, wie wir das alles stemmen sollen.
Was bedeutet Urlaub für Euch?
Früher haben wir unsere Urlaube meist in der Türkei verbracht. Als Alena krank wurde, hat aber das Thema hat erst einmal ganz lange keine Rolle gespielt. Wir hatten zu große Angst, mit Alena zu fliegen und finanziell wäre es auch nicht machbar gewesen.
Unseren ersten gemeinsamen Urlaub verbrachten wir dann erst sechs Jahre nach Alenas plötzlicher Erkrankung in Ägypten. Wir haben es als Familie sehr genossen, einmal Zeit zu haben. Zeit für uns, Zeit für viele schöne Gespräche. Das war damals im Alltag nicht möglich.
Wenn Ihr als Familie gemeinsam Urlaub macht, wie plant Ihr?
Wir planen im Moment eher selten einen Urlaub. Was aber sehr interessant ist, ist dass, wenn wir fahren, beide unsere Töchter immer mit möchten, obwohl sie ja mittlerweile beide schon erwachsen sind. Das erfüllt einen irgendwie mit Freude.
Wo habt Ihr Euren schönsten Urlaub verlebt?
Den schönsten Urlaub haben wir auf Curacao verbracht. Wir waren dort zur Delphintherapie mir Alena. Gereist sind wir mit großen Hoffnungen auf Verbesserung ihres Zustands und diese Hoffnungen wurden mehr als übertroffen.

Wir haben damals Spenden gesammelt und ich empfinde bis heute eine große Dankbarkeit, dass so viele liebe Menschen daran teilgehabt haben, Alena und uns diesen Aufenthalt zu ermöglichen.

Welche Wünsche und Pläne habt Ihr für die Zukunft?
Alenas großer Wunsch ist es, dass sie einmal auf eigenen Beinen stehen kann und für sich selbst sorgen kann.
Wir würden ihr sehr gerne noch einmal eine Delphintherapie ermöglichen, denn auf Curacao hat sie gelernt, den rechten Arm zu bewegen und ihr Ziel ist es nun, bei der nächsten Therapie zu lernen, auch ihre Finger zu bewegen.
Wir sind regelmäßig zu Untersuchungen in Bethel und dort sind immer alle ganz aus dem Häuschen, wenn wir kommen. Die Prognose, die uns damals nach den Operationen gegeben wurden, waren nicht gut. Wenn sie überleben sollte, so hieß es, dann würde der beste zu erwartende Fall Wachkoma sein. Heute steht sie kurz davor, eine Berufsausbildung zu beginnen.
Ich wünsche allen Familien, die solch einen harten Schlag erleben müssen, dass sie sich und ihr Kind nicht aufgeben. Glaubt an ungeahnte Kräfte und glaubt an Wunder.
Wir haben eins.
Sie haben Interesse, Ihre Geschichte mit uns zu teilen? Dann freuen wir uns auf Ihre Kontaktaufnahme unter info@philip-julius.de.

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