Die Rubrik „Erzähl doch mal…!“ erscheint ab sofort monatlich auf unserer Homepage und stellt jeweils eine Familie mit einem besonderen Kind vor. Hier werden individuelle Geschichten erzählt und Wünsche und Ziele geteilt, die alle in erster Linie eines tun sollen, nämlich Mut machen.
Sie haben Interesse, Ihre Geschichte mit uns zu teilen? Dann freuen wir uns auf Ihre Kontaktaufnahme unter info@philip-julius.de.
Dominique lernten wir kennen als Mitbegründerin des Vereins „INTENSIVkinder zuhause e.V.“, mit dem uns ähnlich gelagerte Ziele verbinden. Denn der Verein möchte mittel- bis langfristig eine Ferieneinrichtung mit Rundumpflege schaffen, wo Familien mit schwerstbehinderten Kindern Urlaub machen können. Momentan plant die Stadtgruppe Hamburg des Vereins eine Ferienfreizeit für den Sommer 2016: Durchatmen an der Ostsee
PJeV: Wie sieht Deine Familie aus?
Domenique: Ursprünglich bestand meine Familie aus Vater, Mutter und drei Kindern. Seit meiner Trennung und inzwischen Scheidung besteht meine Familie aus mir, meiner Tochter und meiner neuen Partnerin. Mein älterer Sohn studiert inzwischen in den USA und mein kleiner Sohn wohnt bei seinem Vater.
Wann und wie hast Du von der Behinderung Deines Kindes erfahren?
Als meine Tochter sieben Monate alt war, wurde sie überraschend krank. Zunächst wurde auf Bonchitis getippt, da sie Schwierigkeiten mit der Atmung hatte und sich kaum/gar nicht bewegte. Wir wurden im Krankenhaus aufgenommen, wo sie einen Atemstillstand hatte. Dann wurde von den Ärtzen vermutet, dass es sich nicht um eine Bronchitis handele, sondern wohl etwas ernsteres dahinter stecken müsse. Nachdem meine Tochter intubiert und beatmet wurde, kam es zu vielen Tests. Bei diesen Tests wurde unter anderem auch die Nervenleitgeschwindigkeit geprüft. Nach dieser Untersuchung wurde uns im Nebensatz vom Arzt verkündet, dass das wohl nichts mehr werde. Sie werde vom Hals abwärts gelähmt bleiben. Das war wie ein Holzhammer auf den Kopf. Von einem auf den anderen Moment hatten wir eine schwer beeinträchtigte Tochter.
Inwiefern ist Dein Kind beeinträchtigt und wie gehst Du damit um?
Meine Tochter ist vom Hals abwärts gelähmt. Sie kann nur ihren Kopf bewegen und die Schultern etwas heben. Geistig ist sie fit und spürt inzwischen mit ihren heute 17 Jahren, dass sie sehr viel anders ist als alle anderen Jugendlichen. Sie wird nachts über eine Trachealkanüle im Hals unterstützend beatmet. Auch muss ihr in regelmäßigen Abständen der Schleim abgesaugt werden. Sie muss außerdem katheterisiert werden und ihr Darm wird manuell entleert. Sie kann nie wirklich allein sein und ist komplett auf Unterstützung und Hilfe angewiesen.
Ich habe von Anfang an viel gelesen und versucht, mich schlau zu machen und mich relativ früh mit anderen Eltern über Erfahrungen auszutauschen. So entstand auch der Kontakt mit dem damals in Gründung begriffenen Elternverein „INTENSIVkinder zu Hause e.V.“. Ich wurde Gründungsmitglied und arbeite inzwischen seit 15 Jahren mal mehr mal weniger intensiv ehrenamtlich mit. Für die Regionalgruppe Hamburg bin ich Ansprechpartnerin und mit einigen anderen bin ich gerade dabei, eine Freizeit im Jahre 2016 im Ostseebad Damp zu organisieren.
Wie kommen Deine Söhne mit der besonderen Familiensituation zurecht?
Meine Söhne gehen sehr unterschiedlich mit der Situation um. Da der ältere Sohn schon 20 Jahrealt ist, geht er heute schon seine eigenen Wege. Zur Zeit studiert er in den USA. Der jüngere Bruder ist sehr sensibel und muss wegen eigener Probleme psychologisch betreut werden. Im Umgang mit seiner Schwester ist er aber sehr liebevoll und geht ganz normal mit ihr um. Streiterein sind wie bei allen Geschwistern an der Tagesordnung.
Wie sieht Dein Alltag aus?
Ich habe für meine Tochter 16 Stunden am Tag einen Pflegedienst, der morgens um 6.00 Uhr kommt und sie fertig macht, damit sie zur Schule gehen kann. Ich gehe dann zur Arbeit und kümmere mich um den Haushalt. Bis 22.00 Uhr wird meine Tochter betreut und dann übernehme ich. In der Nacht ruft sie dann generell ein- bis zweimal mal nach mir, damit ich sie umdrehe, Sekret absauge oder ihr etwas zu trinken gebe. Seit nunmehr 16 Jahren kann ich also nicht mehr durchschlafen. Das beeinflußt meinen Ablauf am Tag schon so manches Mal, so dass ich auch mal Nachmittags ein kleines Schläfchen halte (wenn möglich).
Was macht Dich im Alltag glücklich? Und welche Momente sind hingegen besonders schwer?
Wenn alles ohne Komplikationen und der Tag wie geplant verläuft, macht es mich schon zufrieden. Glücklich bin ich, wenn ich mir ein Wochenende für mich freischaufeln kann, meine Tochter über das gesamte Wochenende vom Pflegedienst betreut wird und ich an die Nordsee fahren kann.
Wenn hingegen Unvorhergesehenes passiert, zum Beispiel der Rolli kaputt geht, meine Tochter oder der Pflegedienst krank wird, benötigt es viel Organisationsgeschick, damit Ausgleich geschaffen wird. Dies hängt meistens an mir und ist oft sehr anstrengend.
Wer betreut Dein Kind? Wie habt Ihr die Pflege organisiert?
Es gibt zur Zeit sieben Krankenschwestern in unserem Pflegedienst-Team. Diese kommen in wechselnden Schichten in der Woche 16 Stunden und am Wochenende jeweils acht Stunden täglich. Je nach dem, wie ich Termine habe oder mal ein Wochenende frei brauche, kann ich mir auch zwei Nächte im Monat über den Pflegedienst organisieren.
Was machst Du beruflich? Und wie sieht Dein Arbeitsalltag aus?
Ich bin Sozialpädagogin und arbeite mit behinderten Menschen, die im eigenen Wohnraum Unterstützung brauchen. Ich organisiere im Büro Termine, telefoniere viel mit den Betroffenen und deren Angehörigen, tausche mich mit meinen Kolleginnen aus und besuche dann die Betroffenen vor Ort. Ich bin viel unterwegs und organisiere viel.
Was bedeutet Urlaub für Euch?
Wir haben – als wir noch als komplette Familie gelebt haben – viel ausprobiert. Besonders organisationsintensiv war es, als gesamte Familie wegzugefahren, ohne Pflegedienst. Da blieb die Pflege bei mir hängen und ich hatte kaum Erholung. Wir sind auch ohne unsere Tochter in den Urlaub gefahren. Da konnte ich dann nicht wirklich gedanklich abschalten, weil ich einerseits ein schlechtes Gewissen hatte und andererseits mir Sorgen gemacht habe, ob zuhause alles gut läuft. Ich habe mir stets ein Urlaubsangebot gewünscht, wo wir alle zusammen Entspannung und Erholung haben, Unternehmungen machen können und trotzdem jeder für sich sorgen kann. Das möchte ich nun mit dem Freizeitangebot in Damp erreichen.
Wenn Ihr als Familie gemeinsam Urlaub macht, wie plant Ihr?
Heute plane ich alles möglichst genau vor, damit ich keine bösen Überraschungen erlebe. Ich versuche, den Urlaubsort vorher anzusehen, um festzustellen, ob alles barrierefrei ist. Ich stelle Listen auf für Verbrauchsmaterialien, habe lange im Voraus mit dem Pflegedienst besprochen, dass jemand mitkommen kann. Ich versuche vorher zu erkunden, welche Freizeitaktivitäten man machen kann und was es wiederum dafür an Vorarbeit benötigt. Das klingt anstrengend, hat sich aber in der Praxis bewährt.
Wo habt Ihr Euren schönsten Urlaub verlebt?
Wir waren an der Nordsee in St. Peter Ording. Dort konnte sogar der E-Rolli meiner Tochter auf dem Strand fahren. Sie konnte mit an den Strandkorb und sich sonnen, lesen oder Musik hören und ich hatte die Chance, mich zu entspannen, zu lesen oder einfach Kaffee zu trinken. Mit meinen Söhnen haben wir am Strand gespielt oder sind im seichten Wasser spazieren gegangen. Meine Tochter haben wir in einen Strandrolli gesetzt, der sogar ins Wasser fahren konnte.
Welche Wünsche und Pläne habt Ihr für die Zukunft?
Ich wünsche mir für meine Tochter, dass sie nach ihrem Schulabschluss eine Ausbildung oder ein Studium beginnt, um dann auf dem 1. Arbeitsmarkt einen Beruf ausüben zu können, der ihr Spaß macht und sie nicht dauerhaft zur Leistungsempfängerin degradiert.
Ich wünsche mir zudem, dass es mir gelingt eine Urlaubseinrichtung für besondere Familien ins Leben zu rufen. Erste Schritte habe ich dahingehend schon unternommen. Die Familien sollen dort alle gemeinsam Erholung und Entspannung erfahren und schöne Ferien erleben dürfen. Für das Drumherum sorgen wir.
Philip Julius
„Erzähl doch mal …. Domenique!“
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