Liebe Philip Julius Leser,
es weihnachtet sehr. Eigentlich schon fast überall. Zumindest in Supermärkten, Kaufhäusern, auf den Weihnachtsmärkten und ganz besonders in meiner Nachbarschaft. Oft fahren Evan und ich einen großen Umweg zu uns nach Hause, damit wir in aller Ruhe die vielen Lichter und die Dekorationen an den Häusern bewundern können. Ein Haus hat es uns beiden ganz besonders angetan. Unser ganz persönliches Lieblingshaus. Unser Weihnachtshighlight. Ein Haus, an dessen Hauswand dank Lichtprojektionen Schneemänner und Weihnachtsmänner lustig spazieren gehen. Evan ist jedes Mals aufs Neue begeistert und lautiert glücklich vor sich hin: „DA, DA“.
Ich persönlich mag Weihnachten sehr. Ich mag den Kitsch, die Lichter, die Besinnlichkeit, die Stimmung. Ich verbinde mit Weihnachten viel persönliches: einen Weihnachtsbaum, Kekse backen, meinen absoluten Lieblings-Weihnachtsfilm „3 Haselnüsse für Aschenbrödel“, Weihnachtlieder, den Weihnachtsgottesdienst und noch viele andere wunderschöne Dinge. Seit einigen Jahren überkommt mich Anfang Dezember aber noch ein anders, leichtes aber trotzdem spürbares, Gefühl. Ein Gefühl der Traurigkeit.
Eltern geben ihren Kindern gerne schöne und wertvolle Traditionen mit auf den Weg ins Erwachsenwerden. Traditionen, an die man sich gerne erinnert und die vielleicht noch an die Generationen danach weitergereicht werden.
Traditionen weitergeben, das war auch immer mein Wunsch, mein Wert. Weihnachten zu feiern, wie ich es erlebt habe. Den Weihnachtsbaum gemeinsam zu schmücken. Vorher noch schnell die selbstgebackenen Kekse aus dem Ofen holen, um danach völlig erschöpft aber glücklich zusammengekuschelt einen Weihnachtsfilm zu schauen.
Unser Weihnachtsfest? Der Keksteig wird gegen die Wand geschmissen. Der Weihnachtsbaum überlebt, wenn überhaupt, einige Stunden. Danach liegt er auseinandergerupft im Wohnzimmer verteilt. Und der Weihnachtsfilm? Wird gekonnt ignoriert. Evan versteht nicht was Weihnachten bedeutet. Es interessiert ihn nicht. Er vermisst kein Nikolausfest oder Nikolauslaufen. Er sieht den Sinn in einem Adventskalender nicht. Er kennt keine Vorfreude auf Weihnachten. Er macht auch keinen Wunschzettel oder kann es nicht kaum abwarten bis am 24. abends die Bescherung anfängt. Der 24. Dezember ist für Evan ein Tag wie jeder andere. Doch ganz ehrlich? Für mich ist er das nicht.
Ich würde gerne mit Evan Nikolauslaufen oder einen Wunschzettel entwerfen. Ich würde gerne einmal ein ganz “normales” Weihnachtsfest verbringen, mit allem was dazu gehört. Manchmal mache ich die Augen zu und tauche ab in meine eigene “normale“ Welt, in der ich mit Evan über den Weihnachtsmarkt schlendere und wir zusammen lachen und uns über die witzigen Fahrgeschäfte unterhalten. Ich ihm 4,- Euro in die Hand gebe und er sich das erste Mal ganz alleine eine Tüte Mandel oder eine Zuckerwatte kauft und mir ganz stolz entgegenläuft, um mir seine Errungenschaft zu zeigen. Irgendwann muss ich meine Augen wieder öffnen und ich sehe genau diese Sachen vor meinen Augen, allerdings ist es dann nicht Evan, der diese Dinge macht. Sondern es sind die anderen Kinder und die Eltern der anderen Kinder.
Mit den Jahren wird es leichter aber nichtsdestotrotz klopft jedes Jahr, pünktlich mit dem 1. Türchen meines Adventskalenders, dieses Gefühl der Traurigkeit an meine Tür. Sich einzugestehen, diese Dinge zu betrauern, macht es nicht unbedingt leichter aber es hilft mir damit umzugehen. Im Laufe der Zeit habe ich gelernt, dass unser Weihnachten, auch wenn es nicht wie bei den meisten Familien abläuft, es doch unser Weihnachten ist – ganz personalisiert mit unseren eigenen seltsamen und verrückten Traditionen! Und spätestens nach dem 30. “Lasst uns froh und munter sein” – Evans absolutes Lieblingslied -, welches meine Mutter auf dem Akkordeon, ich auf der Klobürste, mein Vater auf einem Tennisschläger und meine Oma auf einer Bratpfanne begleiten muss, kommt auch so langsam bei uns Weihnachtsstimmung auf. Wie seltsam oder komisch diese Szene auch erscheinen mag, es ist unser Weihnachten mit unseren eigenen Traditionen und darauf bin ich unheimlich stolz.
Evan und ich schreiben Geschichte, nämlich unsere ganz eigene. Und zählt an Weihnachten nicht eigentlich sowieso etwas ganz anderes: die Liebe und Zuneigung zu unseren Mitmenschen und unserer Familie. Evan und ich haben eine besondere emotionale Nähe, eine sehr innige Bindung, die ich nicht nur am 24. Dezember ganz deutlich spüre.
Weihnachten ist das ganze Jahr dort, wo Liebe verschenkt wird.
In diesem Sinne wünschen Evan und ich Euch, liebe Philip Julius Leser, ein schönes, verrücktes und einzigartiges Weihnachtsfest 2016 – egal wie und in welcher Konstellation Sie auch immer feiern mögen
Herzlichst
Marcella
Die Kolumne „Anders und doch normal“ von Marcella Becker erscheint monatlich und beschäftigt sich mit Themen, die die meisten wenn nicht gar alle Eltern behinderter Kinder kennen.
Marcella wohnt mit ihrem Sohn Evan (5) in der Nähe von Bremen. Evan hat das hypoplastische Linksherzsyndrom (HLHS) und lebt in seiner eigenen, besonderen Welt, denn Evan ist Autist.
Illustration: Eva-Maria Unglaube
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